Die Persönlichkeit von Entdeckern




Typen von Entdeckern - Zwei Typologien

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Typologiebildung - nach dem individuellen Sinn des Entdeckens für den Entdecker, nach den Programmen und Räumen des Entdeckens und drittens nach der Art des zu Entdeckenden und Entdeckten. Die beiden Typologien von Entdeckern werden in diesem Unterpunkt behandelt, die Typologie des zu entdeckenden und Entdecktem im Unterpunkt "Was wollen Sie entdecken? Eine Typologie"

Der individuelle Sinn des Entdeckens

Für die Typenbildung nach dem Sinn des Entdeckens ist die von uns erfundene Triade des Entdeckens mit den drei Dimensionen Produktorientierung, Prozessorientierung und Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung die Basis, sie unterscheidet drei Typen von Sinn. Wir werden noch sehen, dass dieser individuelle Sinn vom dem, den die Gesellschaft, Auftraggeber oder Institutionen einer Entdeckung zuschreiben, abweichen kann. Für den Entdecker ist der individuelle Sinn maßgeblich, wenn er seinen Erfolg und oder sein Scheitern beurteilt.
Die drei Dimensionen werden in größerem oder geringerem Ausmaß bei jedem Entdecker vorhanden sein, welche Dimension prämiert wird, hängt sowohl von der Phase des Entdeckungsprozesses als auch vom Ziel der individuellen Entdeckungspraxis ab.

Erster Typus: Prozeßorientierung
Wenn das Entdecken nicht endet! Das Ziel muss im Entdecken liegen und nicht in den Produkten, die dabei entstehen können. Im Unterschied zur Produktion von Dingen geht es den Entdeckern um den Prozess des Entdeckens, d.h. radikale Prozessorientierung.
Entdecker akzeptieren Unendlichkeit und die Totalität des Wandels, sie prämieren den fließenden Prozess und nicht die Produkte, denn die Produkte unterbrechen den fließenden Prozess und stellen ihn still.

Ein Beispiel dafür ist Vincent van Gogh, der seine Bilder übermalte oder verschenkte und sich nicht für den Verkauf interessierte, mit den bekannten dramatischen Folgen für ihn. Ihn interessierte es eine neue Maltechnik auszuprobieren, die Welt mithilfe der Malerei anders darzustellen. Er arbeitete beständig an seinem Stil und führte neue Sujets ein, Picasso sagte über ihn, niemand zuvor wäre auf die Idee gekommen Kartoffeln zu malen.
Humboldts Büste in Havanna

Alexander von Humboldt: „die Werke sind nur gut, soweit sie bessere entstehen lassen.“ (2009, S. 115).

Der Nobelpreisträger Stefan Hell ist für die Entwicklung eines neuartigen Lichtmikroskops und der ihr zugrunde liegenden neuen physikalischen Ideen geehrt worden. Er betont, dass es ihm nicht um die Erfindung des Lichtmikroskops gegangen ist, sondern um neues Wissen, darum, das alte Gesetz der Beugungsgrenze zu knacken. Er sagt: "Ein Entwickler bin ich nie gewesen. Ich war fasziniert von der Idee, einer alten physikalischen Frage auf den Grund zu gehen, von der man dachte, man kenne die endgültige Antwort."(S.3). Er wollte Grundlagenforschung betreiben, den Dingen auf den Grund gehen, den Knackpunkt finden und alte Dogmen der Physik hinterfragen, in diesem Fall das Gesetz der Beugungsgrenze. Sein Kollege sagt über ihn: "Wenn‘s um Auflösung geht, ist der nie zufrieden. Eigentlich endet jede Diskussion damit: es muss jetzt noch besser werden!". (S. 12).

Nicola Tesla, ein Kroate, der Ende des 19. Jahrhunderts Naturwissenschaften und Maschinenbau studierte, verfolgte sein Leben lang die Idee, "in einem »Weltsystem« Energie" in unerhörten Mengen und nahezu verlustfrei an jeden nur denkbaren Punkt der Erde zu übertragen“ (Bührke 2012, S. 59), dazu zählte die beständige Beschäftigung mit immer neuen Geräten und Übertragungswegen. Er scheiterte, gemessen an diesem Ziel letztlich, heraus kamen andere Erfindungen wie das Radio, zu dessen Erfinder ein amerikanischer Gerichtshof Tesla erst nach seinem Tod erklärte (ebenda, S. 75)

Der zweite Typus: Produktorientierung
Der Entdecker ist erfolgreich, wenn er ein Produkt geschaffen hat, das kann neues Wissen, eine neue Praxis oder ein materieller Gegenstand sein.

Beispiele für materielle Gegenstände: Lilienthal und sein Fluggerät, Zeppelin und sein Luftschiff, Emil Berliner und die Schallplatte, Benz und sein Auto, Diesel und sein Motor, Konrad Zuse und der erste Computer, Schliemann und der Schatz des Priamos und die Mauern von Troja

Beispiel für neues Wissen: Humboldts naturwissenschaftliches Werk "Kosmos", in dem er die Ergebnisse seiner langjährigen und rastlosen Forschung niederlegte. Marie und Pierre Curie‘s Entdeckung der Radioaktivität, Max Webers Forschung und Schriften, die die Soziologie begründeten, Sigmund Freuds Forschung und seiner psychotherapeutische Praxis, die zur Entdeckung des Unbewussten, des psychischen Apparats, der Lehre von der Ätiologie der Neurosen und vielem anderen führte.

Beispiel für neue Praxis: Picassos Kubismus als neuer Malstil, Semmelweis Entdeckung der Ursachen des Kindbettfiebers, an der Tausende von Frauen und auch Kinder nach der Geburt starben, einer Infektion mit Mikroben durch die Ärzte, die zuvor Leichen seziert hatten und die Einführung einer antiseptischen Prophylaxe, der Handdesinfektion.

Ein Beispiel für die Kopplung von neuem Wissen und neuer Praxis: Rolf Th. Stiefels Idee, Führungskräfteentwicklung auf der Basis der Erwachsenenbildung, der Andragogik, aufzubauen. Sie sollte die Qualifizierung von Führungskräften und Managern, die damals rein betriebswirtschaftlich und auf Wissensvermittlung ausgerichtet war, ersetzen. Dazu betrieb er Forschung, sammelte eigene Erfahrungen in der Praxis, entwickelte daraus Konzepte, publizierte und lehrte sie, und beeinflusste die Praxis und Theorie der Führungskräfteentwicklung maßgeblich.

Der dritte Typus: Prämierung der Selbstverwirklichung

Diese Prämierung findet sich bei Menschen, die sich erfahren und erleben und auch optimieren, verbessern wollen in der Interaktion, der Auseinandersetzung mit der Natur: Bergsteiger, Big Wave Surfer oder Erforscher der Pole, der Wildnis, des Urwalds, der weißen Flecken auf der Landkarte.

Ein Zitat von Reinhold Messner zu seiner Alleinbesteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff:“ jeder Mensch ist nun einmal von dem Streben beseelt, die Fähigkeiten, die er in sich fühlt, auszubilden und bis zum Äußersten anzuspannen (…) So hat jeder seinen inneren Drang, der zutage will. Dazu kommt dass er sich insgeheim ein sehr hohes Maß gesetzt hat – das höchste –, an das er mit seinem inneren Streben heran zu reichen niemals ist er mit sich und der Welt zufrieden wenn er sich nicht zur vollen Höhe retten darf, die ihm als Ziel seines Könnens erscheint“ 1982
„Bergsteigen ist mein Leben – nicht ausschließlich natürlich, aber ohne würde ich nicht mehr auskommen. Nicht, weil ich’s als etwas Herausragendes oder Besonderes empfinde, losgelöst von meinem übrigen Leben. Aber es gibt mir ein naives, intensives Wissen über mich selbst, und da möchte ich noch weiter vorstoßen.“ (Der Gläserne Horizont 1982, S.93)

George H. L. Mallory, Teilnehmer der britischen Versuche der Erstbesteigung des Mount Everest 1921, 1922, 1924
„Der innerste Zweck unseres Tuns ist vermehrtes Wissen um unsere Fähigkeiten. Wenn wir uns mit festem Willen an die schwere Aufgabe machen, dann erfahren wir das Höchstmaß unserer Leistungsfähigkeit. Noch vermag niemand zu sagen, ob das Ziel erreichbar ist oder nicht.“ (dito S.37)
„Haben wir einen Feind besiegt? Niemand außer uns selbst. Haben wir Erfolg geerntet? Das Wort bedeutet hier nichts. Haben wir ein Königreich erobert? Nein… und ja“ (S.49)
“ Ein neues Feld der Freude tut sich auf, neue Lustmöglichkeiten winken. Freude am Leben ist ausschließlich der Sinn unseres Daseins. Wir leben nicht, um zu essen und Geld zu verdienen. Viele von uns wissen aus Erfahrung, dass eine Bergbesteigung zu den herrlichsten Quellen der Lust gehört. Wie schön ist es doch, mit dem Berg zu ringen, unsere Kraft gegen die natürlichen Hindernisse zu setzen und zu empfinden, wie unser Geist den toten Stoff meistert.“ (S.38)

Steigerungsmöglichkeiten: Bergsteigen als Solo – Freeclimbing ohne Ausrüstung, nur mit der physischen und mentalen Kraft des eigenen Körpers.

work in progress
Die zweite Typologie - Räume des Entdeckens

Die Prämierung des Wahrnehmungsraums, oder des Vorstellungs- und Denkraums oder des Handlungsraums, in dem die Entdeckungspraxis vorwiegend stattfindet

tar_04, id114, letzte Änderung: 2024-03-05 15:05:12

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