Gliederung
Es kann kein allgemeingültiges Modell von Karriere geben, das für alle Gruppen berufstätiger Menschen Geltung hat. Ein Anlass, mich mit den Karrieren von Entdeckern zu beschäftigen war, dass die bislang vorhandenen Modelle den Karriereweg dieser Gruppe von Menschen nicht erfassen können. Die drei vorhanden Triadischen Modelle, die si erklären Karrieren aus dem Miteinander- Gegeneinander- und Nebeneinander von drei Dimensionen .
Bislang habe ich drei Karrieretriaden entwickelt: Der Karriere von Berufstätigen, die in Organisationen arbeiten und angestellt sind. Diese Triade hat die drei Faktoren Lebensweg, Laufbahn, fachlicher oder professioneller Werdegang.
Die zwei parallel von mir entwickelten Karrieretriaden für die Gruppe der Unternehmerinnen und der Selbstständigen weist andere Faktoren auf.
Die Karriere von Unternehmerinnen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit, der Entwicklung des Unternehmens und der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung.
Die Karriere von Selbstständigen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Persönlichkeit des Selbstständigen, der Entwicklung der Dienstleistung bzw. des Angebots und der Entwicklung der Organisationsformen selbstständiger Tätigkeit.

Mehr zu den drei Karrieretriaden finden Sie in Wandel von Personen
Keine dieser drei Triaden ist geeignet, die Spezifik der Karrieren von Entdeckern zu erfassen, genau so wenig wie die von Künstlerkarrieren. Nimmt man die Faktoren der ersten Karrieretriade, Laufbahn professioneller Werdegang und Lebensweg, kommt man zu folgenden "Abweichungen".
Es gibt keine Laufbahn, keinen Karrierepfad für Entdecker in Organisationen!
Sie schaffen sich ihre eigenen Organisationen und Praxissysteme, ihre Position darin und ihren Weg von einem zum nächsten, man könnte auch sagen, sie schaffen sich ihre eigene Laufbahn.
Es gibt keinen vorgegebenen professionellen Werdegang für Entdecker!
Sie schaffen sich einen eigenen fachlichen Werdegang. Sie entwickeln ihr eigenes Ausbildungscurriculum und ihre eigene Arbeitsmethodik. Sie sind nicht auf eine Disziplin oder eine Profession festgelegt, sie schaffen Querverbindungen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, zwischen verschiedenen Formen der professionellen Praxis.
Es gibt keine Normalbiographien von Entdeckern!
Glück, Gesundheit, Zugehörigkeit zählt für sie nicht oder kaum. Die Entdeckung bestimmt das, was andere als Privatleben bezeichnen würden. Die Person, die Persönlichkeit wird auf die Entdeckung hin ausgerichtet, man könnte in manchen Fällen auch sagen zugerichtet. Das gesamte Leben wird dem Primat des Entdeckens untergeordnet und das Glück liegt im Entdecken.
Die beiden Triaden der Karriere von Unternehmern und von Selbstständigen scheinen auf den ersten Blick eine größere Übereinstimmung mit der Karriere von Entdeckern aufzuweisen, aber auch davon weichen die Entdeckerkarrieren ab.
Entdeckern geht es nicht darum, eine Dienstleistung zu produzieren, die Abnehmer findet, oder ein Produkt zu schaffen, mit dem sich Gewinne erwirtschaften lassen. Auch geht es ihnen nicht darum, ein Unternehmen oder eine Praxis aufzubauen, die sich erfolgreich am Markt behaupten kann. Ein Unternehmen zu gründen ist für sie nur ein Mittel zum Zweck, nämlich dem Zweck, an der Entdeckung arbeiten oder sie verbreiten zu können. Der Aufbau von organisationalen Strukturen hat nur dienenden Charakter für ihre individuelle Praxis des Entdeckens und sie scheuen sich, ihre Energie in deren Aufbau und Erhalt zu stecken, wenn es auf Kosten des Entdeckens geht. Ebenso wenig geht es ihnen darum, Erfindungen oder Entdeckungen auf den Markt zu bringen, um damit Geld zu verdienen, höchstes um damit die weitere Entdeckungspraxis und ihr Auskommen zu finanzieren.
Kann man ein wissenschaftliches Modell entwickeln, wenn die untersuchte Personengruppe, die Entdecker, keine Normalbiographien aufweisen, keine Laufbahnen, keine Ausbildungswege, weil sie Wandel durch disruptive Prozesse, also vernichten, erfinden und ersetzen prämieren und dadurch als Abweichung von anderen untersuchten Gruppen erscheinen?
Entdecken ist kein Beruf, sondern ihre Art zu leben. Im Vergleich zur Gruppe der in Organisationen arbeitenden Menschen, zu Selbstständigen und zu Unternehmern ist das Entdecken für sie ein existenzielles Bedürfnis, eine Lebensnotwendigkeit. Darin sind sie der Gruppe der freien Künstler, deren Karrieren ich ebenfalls untersucht habe, ähnlicher als den drei oben genannten. Ihre Arbeit ist aufs engste mit ihrer Persönlichkeit verknüpft, man kann sie nicht als sozialen Typus, sondern nur als Personen modellieren, was ein Problem für meine Forschung ist.
An diesem Punkt entziehen sie sich meiner wissenschaftlichen Analyse, eigentlich kann ich kein Modell der Entdeckerkarriere bauen.
In der Sprache der Supervisoren sagt man, es spiegelt sich im Hier und Jetzt – meiner Forschungspraxis – der Unwille von guten Entdeckern, sich in Strukturen, die sie nicht selbst geschaffen haben, einzupassen oder sich einer sozialen Gruppe zuzuordnen, sich als sozialer Typus aufzufassen. In der Beratung von Entdeckern ist dies kein Problem, denn dort emergiere sie als Individuen, als Persönlichkeiten in ihrer Einzigartigkeit.
Zum Spiegelungsphänomen
Mit diesem – im Übrigen überall entstehenden, meist aber nicht bemerkten – Spiegelungsphänomenen kann man so umgehen, dass man sie erstens erkennt, zweitens benennt und drittens für die Lösung anstehender Probleme nutzt. In der von Michel Giesecke und mir entwickelten "Kommunikativen Sozialforschung" nutzen wir diese auch in der Forschungspraxis emergierenden Phänomene systematisch. "Selbstwahrnehmung und –beschreibung des Forschungssystems" ist die vierte Phase des idealen Forschungsablaufs. Wir haben damals, wie Entdecker das tun, jenseits des eigenen Bereichs in der Supervision, die wir untersuchten und die ich gerade parallel zu meiner Tätigkeit im Forschungsprojekt erlernte, nach einer Lösung für dieses Problem gesucht.
Zur Kontrolle der eigenen Interpretationen und zur Verbreiterung der Datenbasis haben wir eine weitere Phase in den Forschungsprozess eingefügt, die "Datenrückkopplung an das untersuchte System (Hypothesentest, Triangulation)",die fünfte Phase des idealen Forschungsablauf.
Und das ist die Lösung für mein Problem:
Ich biete dieses Modell der Entdeckerkarriere den Entdeckern zur Begutachtung an: Nützen ihnen diese drei Dimensionen, um sich ihre Karriere erklären und sie beschreiben zu können? Dazu werde ich noch einige Rückkopplungsinterviews führen.
Wenn Sie mehr zu Spiegelungsphänomenen in der Forschung und Beratung lesen wollen
Artikel und Links zu ihrer Bedeutung in der Wissenschaft:
Was kann man aus dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Beratung für die Gestaltung kommunikativer Sozialforschung lernen? Gemeinsam mit Michael Giesecke:
Journal für Psychologie, Heft 3, 1998, S. 59-72
Was kann man aus der Beratung für die Forschung lernen
Zur Integration von Selbsterfahrung und distanzierter Betrachtung in der Wissenschaft
Gemeinsam mit Michael Giesecke
In: Wie kommt die Wissenschaft zu Wissen? Band 1: Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Hrsg.: Theo Hug. Innsbruck. Buch, CD-Rom und Internetversion 2001
Selbsterfahrung und distanzierte Betrachtung in der Wissenschaft
Hier der Hinweis auf unser Buch zur Kommunikativen Sozialforschung 1997
Kommunikative Sozialforschung KRG
Kommunikative Sozialforschung MG
Kurze Einführung in die Bedeutung von Spiegelungsphänomene in der Supervisions- und Beratungspraxis
Spiegelungsphänomene
Die von mir entwickelte Triade der Karriere von Entdeckerinnen hat die drei Faktoren:
Entwicklung der Entdeckerpersönlichkeit, Entwicklung der Entdeckungspraxis und Entwicklung der Praxissysteme des Entdeckens
Etwas als Entwicklung zu bezeichnen, setzt einen Bewertungsmaßstab voraus. Biografien und Lebensläufe lassen sich als Chronologie, das heißt Abfolge von Ereignissen in der Zeit beschreiben. Veränderungen diagnostiziert man, wenn man einen Faktor aussucht, zwei Zeitpunkte auf der Timeline der Chronologie aussucht und Unterschiede in der Ausprägung dieses Faktors feststellt, z.B. eine Veränderung von Gesundheit (von mehr zu weniger oder umgekehrt), eine Veränderung von mehr zu weniger Ideen oder Erkenntnissen etc. Bewertet man diese Veränderung mithilfe eines Maßstabes, dann kann man positive oder negative Entwicklungen feststellen. Da verschiedene Menschen unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe haben, fällt die Bewertung, ob eine Veränderung eine Entwicklung darstellt, unterschiedlich aus. So können die Einschätzungen des Entdeckers selbst und die anderer relevanter Personen von Veränderungen in seiner Biographie weit auseinander liegen.
Mehr zu unserem Modell von Lebensgeschichte als Ereignis-, Erlebnis- und Veränderungsgeschichte auf meiner Webseite
Wandeltriade
Der Bewertungsmaßstab von Ereignissen ihrer persönlichen und beruflichen Karriere ist für Entdecker: Dient diese Veränderung der Entdeckung? Bringt mich diese Veränderung dem Ziel meiner Entdeckung näher?
Es gibt kein gesellschaftlich festgelegtes Kriterium für die Bewertung einer Entdeckerkarriere wie beispielsweise für die Karrieren von Menschen in Organisationen. Hat die Person zum Zeitpunkt X die Position eines Sachbearbeiters inne, zum Zeitpunkt Y die Position Teamleitung oder Abteilungsleitung, so hat sie, legt man dem Bewertungsmaßstab des Aufstiegs in der von den Organisationen vorgegebenen Laufbahn, dem Karrierepfad, an, eine positive Karriereentwicklung geschafft. Eine positive Entwicklung innerhalb des professionellen Werdegangs in einem Beruf schafft derjenige, der die Stationen Lehrling, Gesellen, Meister oder gar Ausbilder von Meistern erfolgreich passiert hat; oder in einer akademischen Ausbildung den Bachelor für ein Fachgebiet, den Master, vielleicht noch die Promotion oder gar die Habilitation erfolgreich abschließt.
Ein Entdecker übernimmt keine Bewertungsmaßstäbe von Organisationen oder Professionen, sein Bewertungsmaßstab ist, dient es dem Prozess des Entdeckens und der Entdeckung oder nicht? Und das gilt sowohl für die eigene Person und den Lebensweg, als auch für die eigene Position innerhalb oder außerhalb von Organisationen und die daraus entstehende Laufbahn als auch für den fachlichen Werdegang.
So war es für Reinhold Messner Mount Everest Expedition der Bewertungsmaßstab: Schaffe ich es, den einzig möglichen Weg auf die Spitze des Mount Everest zu finden, für Kolumbus den Seeweg nach Indien zu entdecken, für Stefan Hell die Beugungsgrenze zu knacken, für Böttcher Gold zu machen und für Guttenberg die schönste und immer gleichbleibende Schrift zu entwickeln.
Nun mag es auf diesem Hintergrund verwunderlich klingen, von der Entwicklung der Entdeckerpersönlichkeit zu sprechen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die persönlichen Wünsche und Sehnsüchte, die neben dem, die Entdeckung zu machen, existieren, mit einer großen Härte und Konsequenz dem Primat der Entdeckung untergeordnet werden, persönliches Glück finden sie oft eher nicht in persönlichen Beziehungen, sondern in der Praxis des Entdeckens. Das Picasso Zitat über seine Malerei: “Alles wird ihr geopfert – Du und jeder andere – einschließlich meiner selbst.“ und die Fallbeschreibungen zeigen das.