|
Da Entdecken immer die Verwandlung des Wandels durch revolutionäre bzw. disruptive Prozesse ist, und da Entdecker nicht als sozialer Typus, sondern nur als Individuen angemessen zu beschreiben sind, kann es keine allgemein gültigen Programme des Entdeckens und der Gestaltung von Entdeckerkarrieren geben. Programme setzen Normalformen des Ablaufs voraus und soziale Typen, in diesem Fall Rollenträger, die sie ausführen. Das einzig allgemeingültige Programm ist das Metaprogramm des Revolutionierens mit seinen drei Dimensionen: Erfinden, Ersetzen und Zerstören!
Eine logische Ebene unter den Programmen liegen die Maximen. Maximen sind in den Autobiografien der und den Interviews mit Entdeckern zu finden. Was ist für Entdecker handlungsleitend und orientierungsrelevant, nachdem sie sich entschieden haben, ihre Idee zu verfolgen und sich auf einen Prozess des Entdeckens einzulassen? Die folgenden Maximen sind das Ergebnis meiner empirischen Analyse der Karrieren derjenigen Entdecker und Entdeckerinnen, die in den Falldarstellungen im letzten Menüpunkt präsentiert werden und weiterer, die ich untersucht habe.
Maximen für die erfolgreiche Gestaltung des Entdeckungsprozesses -weniger für die Karriere- habe ich in dem hervorragenden Werk von Robert Scott Root- Bernstein „Discovering – Inventing and Solving Problems at the Frontiers of Scientific Knowledge (1989) gefunden, der Biografien und Autobiographien zahlreicher Naturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen untersucht hat. Sein Ziel war es, junge Entdecker zu ermutigen, indem er ihnen die Biografien von berühmten Wissenschaftlern, die Entdeckungen gemacht haben, vorstellt und Maximen für das erfolgreiche Angehen und Durchführen eines Entdeckungsprozesses zur Verfügung stellt.
Mehr dazu finden Sie in der Menüpunkt Programme und Strategien des Entdeckens.
Die Funktion der folgenden Maximen soll es sein, potentiellen Entdeckern zu zeigen, "was normal ist", wenn man sich für das Entdecken entscheidet und was die eigene Karriere von anderen unterscheidet. Förderern oder Vorgesetzten von Entdeckern sollen sie helfen, das Denken und Handeln von Entdeckern zu verstehen und ihre eigenen Maßstäbe, wie man Karriere macht, zu suspendieren. Letzteres gilt auch für Berater und Personalentwickler.
Die Maximen für eine erfolgreiche Entdeckerkarriere:
Entscheide Dich im „falschen Leben“ zu bleiben oder zu entdecken!
Verfolge Deine Ideen, glaube an sie!
Nimm die Mission ernst, die Du spürst!
Vertraue Deinen Talenten und Deinen anderen Triebkräften, sie liefern die notwendige Energie!
Sei bereit alles Deiner Entdeckung unterzuordnen: Deine Person, Deine Bedürfnisse, Deine Gesundheit, Deinen Wohlstand und auch die Bedürfnisse der anderen!
Lebe bescheiden, sei bedürfnislos. Lass Dich nur von dem Bedürfnis zu entdecken leiten!
Suche das Abenteuer, das Unbekannte und das Glück zu denken, zu erfinden und auf dem Weg zu einer Entdeckung zu sein!
Verfolge keine traditionellen Ausbildungswege, sie engen Dich ein. Schaff Dir Dein eigenes Curriculum!
Entdecken ist Wandel durch Revolutionieren
Traue keinen Gesetzen, Grundannahmen, Modellen und Vorgehensweisen!
Entdecken ist Revolutionieren, nicht Bewahren oder Verbessern. Es geht darum Neues zu erfinden, das Alte zu ersetzen und zu vernichten. Dieses Denken und Handeln ruft notwendigerweise Widerstand hervor. Gibt es Widerstand, dann bist Du meist auf dem richtigen Weg!
„Träumer“, “Schwärmer“ (Marie Curie) und Außenseiter machen Entdeckungen, oder weniger sanfte Wesen wie Rebellen !
Du kannst Dich nicht an Normalität orientieren, an welcher auch immer. Nicht an den Vorstellungen, die die eigene Familie, die sozialen Gemeinschaft, die Profession, die wissenschaftliche Disziplin, die Organisationen und Institutionen, mit denen Du interagierst, haben. Du stellst für sie eine Abweichung dar!
Verlass Dich nicht auf Organisationen, die Bewahren und Optimieren von Bestehendem prämieren! Verwende nicht Deine gesamte Energie, um Dir dort einen Platz zu suchen!
Suche nicht nach Anerkennung Deiner Arbeit von diesen Institutionen, sie kränken eher als souverän genug zu sein und sich nicht bedroht zu fühlen. Ehrungen werden „Revolutionären“ meist verweigert!
Statt Zugehörigkeit zu suchen, bleib lieber einsam oder such Dir einige wenige “Getreue“!
Lass Dir keine Aufträge von anderen geben, was Du entdecken sollst! Gib sie Dir selbst!
Schaffe Deine finanzielle Basis auf verschiedenen Wegen!
Übernimm keine Aufträge mit Werksvertragscharakter (darin sind die Ziele vorgegeben), höchstens als Mittel zum Zweck, die eigene Entdeckungsarbeit zu finanzieren. So wie freie Künstler Auftragsarbeiten machen um ihre freie Kunst zu finanzieren!
Arbeitest Du in einer Organisation, dann suche nach Menschen, die souverän genug sind, Dir eine Position oder ein Stipendium zu verschaffen und Dich machen lassen!
Oder suche Dir einen Job zum Geld verdienen, der Dir genug Zeit zum Entdecken lässt, so wie Einstein als Büroangestellter an seiner Quantentheorie arbeiten konnte.
Oder suche Dir Mäzene, die Deine Entdeckung finanzieren können! Das kann die eigene Familie sein, die Dir Geld aus ihrem Vermögen oder Dein Erbteil zur Verfügung stellt. Oder es können reiche Menschen sein, die von Deiner Idee überzeugt sind, so wie J.P. Morgan bei Nicola Tesla oder heutzutage vielleicht auch Stiftungen sein!
Oder gründe ein Unternehmen und suche Dir Leute, die eine Erfindung, die Du schon im Entdeckungsprozess gemacht hast, in die Produktion bringen und verkaufen können!
Maximen für die Entdeckungspraxis
Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, überschreite die Grenzen Deiner wissenschaftlichen Disziplin bzw. Deiner Profession und suche dort nach Erklärungen und Lösungswegen!
Wenn Du in Deiner Entdeckungspraxis zu scheitern drohst, Irrtümer auftauchen, mach weiter. Hinterfrage Deine Annahmen, diese kritischen Stellen sind oft der Anfang der Entdeckung!
Halte Phasen der Unsicherheit, des ‚Schwimmens‘ aus, wenn Du spüren kannst, dass irgendetwas noch Zeit zum Reifen braucht!
Einfälle und Theorien dürfen und müssen auf den ersten Blick „verrückt sein“, “sonst gibt es keine Hoffnung“, sagt Niels Bohr oder „sie sind nicht wichtig“, sagt Medawar.
Erfolgreich oder gescheitert?
Gehe davon aus, dass die Gesellschaft, deine Professional Community, die Organisationen und Institutionen Deiner Entdeckung einen anderen Sinn geben als Du selbst! (Individueller versus sozialer oder kultureller Sinn der Entdeckung)
Gescheitert bist Du nur, wenn Du den Sinn, den Du ihr gibst, nicht erreichst!
Riskiere, dass Deine Entdeckung in Deinem Verständnis missbraucht wird! Ist sie in der Welt, hast Du nicht mehr in der Hand, wozu sie verwendet wird!
Katalin Karikós Maximen
Die von mir gefundenen Maximen für Entdecker möchte ich ergänzen durch die einer Nobelpreisträgerin, die sich an junge Wissenschaftlerinnen wenden.
Katalin Karikó und ihr Kollege Weissmann erhalten 2023 den Nobelpreis in Medizin für ihre Grundlagenforschung, die u.a. die Herstellung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 ermöglichten: „Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei." schrieb das Nobelkomitee.
Die Preisträgerin, eine Biochemikerin, hat eine Karriere voller Hindernisse hinter sich, sowohl was den Prozess des Entdeckens selbst als auch was die Akzeptanz durch die Professional Community und die Förderung ihrer Karriere und ihrer Entdeckung durch Hochschulen anbetraf.
In ihrer im Oktober 2023 erschienenen Biographie „Breaking Through“ beschreibt sie ihren Weg und fasst am Ende des Buches die Lehren aus ihrer Biographie und Karriere zusammen. Es ist ihre Botschaft an junge Wissenschaftlerinnen, insbesondere an jene, die neue Ideen haben, sich nicht für den Mainstream der Forschung interessierenund wie sie sagt „to those who may not fit to the status quo“, ihr Vermächtnis.
Die Analyse ihrer Karriere finden Sie im Menüpunkt „Karrieren von Entdeckern- Fallstudien“
Katalin Karikó - "An Outsider inside the System"
EPILOGUE
"I began this book with a note to teachers—my own and the many I will never meet.
Teachers, I said, are planting seeds.
I’d like to end by talking to scientists—current, future, potential scientists—as well as to anyone else who longs to contribute to humanity’s progress. I’m talking especially to those of you who may not fit in with the status quo.
Maybe you don’t look like the scientists in your textbooks. Maybe you are still mastering a new language or speak with a thick accent. Maybe you grew up never knowing a single scientist or you attend a school no one has heard of, or you don’t understand the invisible rules that seem to drive so much of what happens in the halls of power. I hope you, especially, will remember my words.
On an ordinary day on the streets of Szeged, as I walked home from a clinic feeling horribly ill, I had a flash of insight: No one would ever miss the contribution I didn’t make. No one would knock on my door and beg me to continue working. If I stopped, or if I pulled back my efforts one bit at a time until I was giving less than my full potential, the loss would go entirely unnoticed.
A world that’s missing an important contribution looks ordinary. It is the definition of the status quo.
I don’t know where my insight came from that day. But it carried me through years of being unseen, years when nearly every message I received, both implied and explicit, seemed to suggest the same thing: This work is not for you, Kati.
The insight kept me going. It made me stubborn where otherwise I might have given up.
Perhaps you will never be struck quite so suddenly by this same out-of-the-blue epiphany. So I want to be the one to tell you now: Do not stop.
Your future contribution might still be hypothetical. Please treat it like it’s real. It matters. It matters even if you don’t get to see the impact. That’s not the part any of us gets to control. Just keep going with your one more thing, and your one more thing, and your one more thing after that.
Something I know for sure is this: Every seed gives rise to new life. This life in turn produces new seeds, which in turn give rise to still more. On and on it goes.
What I’m saying is, you must trust what’s inside you. Nurture what you find there, even—especially—when no one else does.
What I’m saying is, keep going. Keep growing. Keep moving toward the light.
You are the potential. You are the seed."
Karikó, Katalin. Breaking Through: My Life in Science (English Edition) (S.319-320). Crown. Kindle-Version.
Hier können Sie die deutsche Übersetzung des Epilogs lesen:
EPILOG
"Ich begann dieses Buch mit einer Notiz an die Lehrer - meine eigenen und die vielen, die ich nie kennenlernen werde.
Lehrerinnen und Lehrer, so sagte ich, pflanzen die Saat.
Zum Schluss möchte ich mich an die Wissenschaftler wenden - an aktuelle, künftige und potenzielle Wissenschaftler - sowie an alle anderen, die einen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit leisten wollen. Ich wende mich insbesondere an diejenigen unter Ihnen, die vielleicht nicht in den Status quo passen. Vielleicht sehen Sie nicht so aus wie die Wissenschaftler in Ihren Lehrbüchern. Vielleicht sind Sie noch dabei, eine neue Sprache zu lernen, oder Sie sprechen mit einem starken Akzent. Vielleicht sind Sie damit aufgewachsen, keinen einzigen Wissenschaftler zu kennen, oder Sie besuchen eine Schule, von der noch niemand etwas gehört hat, oder Sie verstehen die unsichtbaren Regeln nicht, die so viel von dem bestimmen, was in den Hallen der Macht geschieht. Ich hoffe, dass vor allem Sie sich an meine Worte erinnern werden.
An einem ganz gewöhnlichen Tag auf den Straßen von Szeged, als ich aus einer Klinik nach Hause ging und mich schrecklich krank fühlte, hatte ich einen Blitz der Erkenntnis: Niemand würde jemals den Beitrag vermissen, den ich nicht geleistet habe. Niemand würde an meine Tür klopfen und mich anflehen, weiter zu arbeiten. Wenn ich aufhörte oder meine Bemühungen nach und nach zurückschraubte, bis ich weniger als mein volles Potenzial zur Verfügung stellte, würde der Verlust völlig unbemerkt bleiben.
Eine Welt, in der ein wichtiger Beitrag fehlt, sieht gewöhnlich aus. Sie ist die Definition des Status quo.
Ich weiß nicht, woher meine Einsicht an diesem Tag kam. Aber sie trug mich durch Jahre, in denen ich nicht gesehen wurde, Jahre, in denen fast jede Nachricht, die ich erhielt, sowohl implizit als auch explizit, das Gleiche zu suggerieren schien: Diese Arbeit ist nichts für dich, Kati. Die Einsicht hielt mich aufrecht.
Vielleicht werden Sie nie so plötzlich von einer solchen Erleuchtung heimgesucht werden. Deshalb möchte ich derjenige sein, der es Ihnen jetzt sagt: Hören Sie nicht auf.
Ihr zukünftiger Beitrag ist vielleicht noch hypothetisch. Behandeln Sie ihn bitte so, als sei er real. Er ist wichtig. Es ist wichtig, auch wenn Sie die Auswirkungen nicht sehen können. Das ist nicht der Teil, den jeder von uns kontrollieren kann. Machen Sie einfach weiter mit Ihrer einen Sache, und Ihrer nächsten Sache, und Ihrer einen Sache danach.
Etwas, das ich mit Sicherheit weiß, ist dies: Jedes Samenkorn bringt neues Leben hervor. Dieses Leben wiederum bringt neue Samen hervor, die wiederum noch mehr hervorbringen. So geht es immer weiter.
Was ich damit sagen will, ist, dass Sie dem vertrauen müssen, was in Ihnen ist. Pflegen Sie das, was Sie dort finden, auch - und vor allem - wenn es niemand anderes tut.
Was ich damit sagen will, ist: Macht weiter. Wachse weiter. Bewegt euch weiter auf das Licht zu.
Du bist das Potenzial. Du bist die Saat."
Karikó, Katalin. Breaking Through: My Life in Science (English Edition) (S.319-320). Crown. Kindle-Version.
Translated with DeepL