Die Praxis des Entdeckens



Das Modell und die Grundannahmen

Gliederung

Was verstehen wir unter Praxis?

Praxis, Bedeutung im Alltag =
„Die vielen Facetten unserer Vorstellung von Praxis führen im Alltag zu Mehrdeutigkeiten des Begriffs und des Wortes.
Wenn von einer 'großen anwaltlichen Praxis' die Rede ist, kann erst der Kontext klären, ob damit lange (und gute) praktische Erfahrung des Anwalts, oder ausgedehnte Kanzleiräumlichkeiten, oder/und viel Personal, oder weitläufige Interaktion - oder eine Kombination dieser Dimensionen - gemeint ist.
Zusammenfassend lassen sich mindestens die folgenden konstitutiven Merkmale eines alltäglichen Begriffs von Praxis festhalten:

  • Der Mensch ist, in welcher Emergenzform auch immer, das Subjekt jeder Praxis, der Praktiker.
  • Zu jeder Praxis gehören Praktiken der Menschen.
  • Jede Praxis macht Sinn und verfolgt Zwecke..
  • Ob beabsichtigt oder nicht, immer finden Transformationen von Dingen statt.
  • Jede Praxis findet in Räumen (Arztpraxis, Werkstatt, Büro...) statt und gestaltet diese
  • Jede Praxis setzt Prozesse in Gang, die Zeit und Energie verbrauchen.
  • Jede Praxis hat es auch mit Materie: Körper, Gegenständen, Medien/Werkzeugen zu tun.
  • Jede Praxis schafft Erfahrungen, also Informationen in unterschiedlichen Formen, auch in Form von Theorien und verändert die Praktiker.

Fazit: Wenn wir uns dem Bedeutungsreichtum von 'Praxis' im Alltagsverstand annähern wollen, können wir uns also von vornherein auf viele Dimensionen gefaßt machen.
Zwar ist ein triadisches Verständnis der Praxis im Alltag nicht üblich, aber es steht, auch nicht im Widerspruch zu seinen vielfältigen Facetten. Man kann das triadische Verständnis als eine Auswahl aus der Bedeutungsvielfalt alltäglicher Praxis verstehen - nach gehöriger Erkundung ihrer Breite und Tiefe und der anschließenden triadischen Systematisierung und Typisierung.“
Link zum Lexikon:
→ Praxis, Bedeutung im Alltag

Unsere Grundannahmen über Praxis - Thesen aus dem Lexikon Triprax und Tridenk

  • Der Mensch emergiert in der Praxis als Praktiker, also als Wahrnehmender, Denkender und Handelnder.
  • Jede Praxis ist ein Bestandteil der Welt und verändert die (anderen) Dinge in Raum und Zeit.
  • Jede Praxis schafft, wenn sie gelingt, ein Interaktionssystem, gestaltet Beziehungen zwischen den strukturellen Komponenten (Subjekt, Objekt, funktionale Beziehungen) und erzeugt Räume.
  • Jede Praxis muß permanente Probleme bewältigen und erhält dadurch eine Dynamik

Den gesamten Text finden Sie hier: Link zum Stichwort Praxis

Elemente dieser umfassenden Theorie werden an mehreren Stellen auf dieser Website dargestellt. Wenn sie in anderen Kontexten erwähnt werden, finden Sie eine interne Verlinkung statt einer erneuten Darstellung.
Die drei großen Praktiken im Menüpunkt Programme und Phasen
Die Triade Subjekt, Objekt der Praxis und Beziehung im Menüpunkt Programme und Phasen
Die dynamische Dimension im Menüpunkt Programme und Phasen
Die Unterscheidung zwischen drei Klassen der Praxis: Individuelle, soziale und kulturelle im Menüpunkt Erfolg und Scheitern

Zur Unterscheidung von Entdecken, Erfinden, Gründen - Die Triade der Entdeckungspraxis

In diesem Abschnitt werden drei unterschiedliche Typen von Praxis beschrieben, die alltagsweltlich wie auch in Veröffentlichungen im Kontext von Entdecken und Entdeckungen gebraucht werden.
In der einschlägigen Literatur tauchen sowohl die Begriffe Erfinden wie Entdecken auf, manchmal werden sie synonym verwendet, manchmal hat man den Eindruck, dass damit zwei unterschiedliche Arten von Praxis gemeint sind. Auch das Gründen von Institutionen und das Begründen von Theorien wird als Entdeckung bezeichnet oder gefeiert. Welche Grundannahmen wir über die Praxis des Entdeckens haben und welche Unterscheidung zwischen den drei Typen in dieser Studie gemacht wird, ist Gegenstand dieses Abschnitts. Ich habe eine Triade entwickelt, ein Modell von Entdecken und wähle Entdeckungspraxis als Oberbegriff.

Definition: Entdeckungspraxis ist das Produkt des Zusammen- Aufeinander- und Gegeneinwirkens dreier Praxistypen: Entdecken von Unbekanntem, Erfinden und Gründen.
Entdeckungspraxis ist eine besondere Form individueller oder sozialer Praxis der Menschen. Jede Praxis schafft und verwandelt den menschlichen Kosmos. Die Praxis des Entdeckens unterscheidet sich von alltäglicher Praxis dadurch, dass der durch sie geschaffene Wandel Ausmaße hat, die den menschlichen Kosmos verändern und nicht nur Auswirkungen auf einzelne Menschen oder kleine Gruppen hat.

Entdeckungspraxis Triade

Praxis, die diesen Komplexitätsgrad aufweist, wird im NTD® als Triade modelliert, die aus drei Faktoren besteht, die aufeinander einwirken und in einer konkreten Praxis unterschiedlich gewichtet, wir sagen, prämiert werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand ein wissenschaftliches Gesetz entdecken will, dazu aber einen technischen Apparat entwickeln muss, mit dem er das Phänomen untersuchen und darstellen kann. Für den Verkauf und Vertrieb dieses Apparats, die seine weitere Grundlagenforschung finanzieren sollen, gründet er ein Unternehmen. So gibt es kaum eine Entdeckung, in der die beiden nicht prämierten Faktoren eine wenn auch untergeordnete Rolle spielen.
Zur für das Neue Triadische Denken® konstitutiven Idee der Prämierung, dem "Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Selektion (Auswahl), Bewerten und Hierarchisieren (Rangordnung mit Wertmaßstäben erstellen)."
mehr unter Prämieren

Der Schwerpunkt dieser Website liegt auf dem Praxistyp Entdecken von Unbekanntem

Diese Triade ist das Produkt der Arbeit an diesem Projekt, also eine Entdeckung. Es gab sie nicht, als ich mit meinen Forschungen begann und auch noch nicht, als ich anfing an dieser Website zu arbeiten.
Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Entdecken als Erkunden von Unbekanntem und Erfinden von materiellen Dingen entstand beim Lesen der Biografien und Autobiografien von Entdeckern und Erfindern.
Mit der Frage, ob Gründer Entdecker und Gründungen eine Form des Entdeckens sind, hatte ich mich vor einiger Zeit beschäftigte. Auf Gründen trafen aber viele Merkmale des Typus Entdecken von Unbekanntem einfach nicht zu und ich beließ es dabei. Wie sich jetzt zeigt, kann das auch gar nicht sein, weil es sich um einen anderen Faktor, einen anderen Praxistyp handelt.

Wie es bei der Entwicklung von Triaden eigentlich immer der Fall ist, weiß man nicht, ob man einen der drei Faktoren der Trias oder das emergente Produkt, das aus deren Zusammenwirken entsteht, also das Objekt, das auf einer anderen logischen Ebene liegt, gefunden hat. Ich hatte mit einem Faktor der Trias begonnen. Triaden haben immer drei Ebenen: Objekt, Trias aus drei Faktoren und Cluster der Merkmale der Faktoren, denn Neues Triadisches Denken® ist räumliches Denken.
Was ist eine Trias? Trias

Triade Mobile

Man kann nach unserer Auffassung aber nicht anders als zu prämieren, sowohl in der Entwicklung von Modellen als auch in deren Darstellung.
Aus diesem Grunde liegt der Schwerpunkt der empirischen Studie beim Entdecken als Entdecken von Unbekanntem, einem Typus der Praxis des Entdeckens.
Wollte man die Triade des Entdeckens darstellen, so müsste man zu jedem Thema drei Sätze zu den drei Praxistypen des Entdeckens schreiben. An manchen Stellen ist das der Fall, aber systematisch durchgehalten ist das noch nicht.

Die Bezeichnung der Triade "Entdeckungspraxis" nutzt derzeit leider noch, wie es beim Entwickeln von Triaden vorkommt, ein Wort aus dem gleichen Wortstamm wie die Bezeichnung des Faktors "Neues Entdecken". Die Suche nach einer andere Bezeichnung für Praxisgattung hat leider noch kein besseres Ergebnis als dieses gebracht. Unsere Sprache hat nicht genügend Worte oder Begriffe für Triadisches Denken, sie ist vom binären Denken geprägt, man findet nur schwer vier trennscharfe Begriffe für eine Triade.
Innovatives Denken leidet immer darunter, dass Worte fehlen, das beklagen Wissenschaftler, aber auch Rilke in seinen Studien über die Worpsweder Maler, die ihren neuen Stil nicht wirklich zu beschreiben vermögen: " Das Eigene erfordert also , wenn es nicht schweigen will, eine eigene Sprache. Es ist nicht ohne sie. Das haben alle gewusst, die große Verschiedenheiten in sich fühlten."(R.M. Rilke: Worpswede, Insel Verlag Frankfurt 1987, S.94) Liest man seine Gedichte, so versteht versteht man diese Maxime auch eine, der er selbst bei seiner dichterischen Praxis gefolgt, mit Erfolg wie wir wissen.

Beides, das Prämieren und das Finden neuer Begriffe sind strukturelle Probleme der Entwicklung von wissenschaftlichen Modellen, die triadisch sind. Sie lassen sich durch die Forschungspraxis lösen, aber nicht vermeiden.

Wenn Sie sich für das Triadische Denken® interessieren, hier sind die Links:
Die Einführung in das Neue Triadische Denken® auf der Startseite des NTD® Startseite NTD
Bilden von Triaden→ Triadenbildung
Ebenen der Triade und Schaubilder → Triade

Was kann man unter diesen drei Praxistypen von Entdecken verstehen?
Als Sprachwissenschaftlerin nutze ich Lexika, die die heutige Wortbedeutung, die Etymologie der Worte, Synonyme, Wortfelder und den Gebrauch in den letzten Jahrzehnten beschreiben, um Begriffe zu klären. Die folgenden Zitate stammen alle aus dem DWDS, dem „Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache“.


Ihre Entstehung, die Veränderungen der Bedeutung von Begriffen und die Häufigkeit des Gebrauchs im Laufe der Jahrhunderte wird hier akribisch nachgezeichnet. Das DWDS wird von der von Bund und Land geförderten Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben und basiert auf der Auswertung mehrerer Wörterbücher, z.B. dem von Wilhelm und Jacob Grimm aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Interessant ist die Wortverlaufskurve, die die Häufigkeit des Gebrauchs seit dem 16. Jh. abbildet.
Link zum DWDS

Die Unterscheidung von Entdecken und Erfinden im Grimmschen Wörterbuch
„wer entdecken will, siehet sich gar genau um in dem gewimmel der dinge, so um ihn her sind, und siehet er darin etwas, das sonst noch niemand hatte gesehen, so hat er entdeckt.
wer erfindet, setzt vorhandnes auf neue art und weise zusammen. KLOPSTOCK 12, 116;
etwas erfinden ist ganz was andres als etwas entdecken.denn die sache, die man entdeckt, wird als vorher schon existierend angenommen, nur dasz sie nicht bekannt war, z. b. Amerika vor dem Columbus. was man aber erfindet, z. b. das schieszpulver war vor dem künstler, der es machte, noch gar nicht bekannt. KANT 10, 241; das geständnis seiner gedanken entdecken (ablegen). 2, 563.“

Diese Definition enthält noch nicht das Entdecken in Wissenschaft und Forschung, das das
Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache gut 150 Jahre später als erstes aufführt:

"Entdecken

  1. in Wissenschaft und Forschung etw. bis dahin Unbekanntes auffinden: ein neues Naturgesetz, Element e.; bei einer Untersuchung gesetzmäßige Zusammenhänge e.; Robert Koch entdeckte den Tuberkelbazillus; Kolumbus entdeckte Amerika; in diesem Gebiet wurden wichtige Naturschätze entdeckt;“
    Die beiden anderen Bedeutungen sind enthüllen und etwas aufdecken, z.B. ein Geheimnis, die ab dem 20 Jh. nicht mehr gebräuchlich waren.

    „die im 16. jh. einsetzende bedeutungsveränderung von ‘aufdecken, enthüllen’ (A) zu ‘finden, wahrnehmen’ (B) hat semantische parallelen in verben anderer europ. sprachen, z. b. bei nl. ontdekken, mit anderem etymon z. b. it. (di)scoprire, port. descobrir, frz. découvrir, engl. discover. aufdecken, enthüllen. im 19. jh. zurückgehend, im 20. jh. veraltet.1 von etwas bedeckendem freimachen.“
    Die Wortverlaufskurve des DWDS zeigt den Höhepunkt des Gebrauchs für das Ende des 18. Jh. an, danach fällt sie bis auf die heutige Zeit, vermutlich durch die Verengung der Bedeutung auf unser heutiges Verständnis von Entdecken.

„Erfinden

  1. durch Forschungsarbeit etw. völlig Neues, bes. auf technischem Gebiet, schaffen, entwickeln: neue Maschinen, Werkzeuge e.; der Ingenieur hat eine neue Bremsvorrichtung, Gangschaltung erfunden; ein neues Präparat, Medikament ist erfunden worden; salopp abwertend der hat das Pulver nicht erfunden (ist nicht besonders klug)

    2.etw. nicht auf Wahrheit Beruhendes ersinnen, ausdenken: einen Vorwand, eine Ausrede (…)“
    Aus dem Grimmschen Wörterbuch (DWB):
    „die frühere sprache hat aber beide wörter noch nicht so unterschieden, sondern erfinden auch für entdecken gesetzt: es seind auch andere inseln auszer der welt neulich erfunden von dem künig von Portugal“
    Erfinden, Erdenken, Ersinnen, Erdichten im positiven Sinne war jahrhundertelang die Hauptbedeutung des Worts, Erfinden meinte oft auch nur Finden. Die Wortverlaufskurve des DWDS zeigt den Höhepunkt des Gebrauchs im 16.Jh, danach fällt er bis auf die heutige Zeit immer weiter ab, was wohl aus der Bedeutungsverengung zu erklären ist.

"Gründen

  1. die Grundlage von etw. schaffen
    a)das Fundament von etw. legen BEISPIELE: ein Dorf, die Siedlung, Stadt gründen, der Ort wurde um 1200 gegründet
    b)etw. ins Leben rufen BEISPIELE:einen Hausstand, ein Heim, eine Familie gründen, einen Orden, Verein, ein Unternehmen gründen

    2.⟨etw. auf eine Sache, auf einer Sache gründen⟩ etw. auf etw. aufbauen"
    Seine Festigkeit gründete er nicht auf die Amtsehre, sondern auf das Pflichtgefühl [ G. KELLERGr. Heinrich4,334]
    Der Bischof leugnet den hohen Wert dieser Phänomene nicht, will aber seine Erkenntnis nicht allein auf sie gründen [ WERFELBernadette467]"
    Die Wortverlaufskurve zeigt den Gebrauch seit Beginn des Zählung um 1600, einen starken Anstieg ab Mitte des 17.Jh. bis ca. 1820, in der Gründerzeit den Beginn eines Abfalls, der bis in die 1940er Jahre dauert (vermutlich durch den Gebrauch im Sinne unter 2.) und nach dem 2. Weltkrieg einen steilen Anstieg bis jetzt.

Manchmal wird das Wort Gründen synonym verwendet mit etwas begründen, manchmal nicht.

„Begründen

  1. etw. gründen, neu schaffen: einen demokratischen Staat b.; e. Zeitschrift, Verein, Geschäft b.; eine Familie, seinen eigenen Hausstand, seine Existenz b.; den Grund zu etw. legen: jmds. Ruf, Ruhm, Glück b.;

    2.etw. auf etw. aufbauen: etw. auf eine Tatsache b.; auf dieses Ergebnis begründete er seine Theorie;(...) eine auf Quellenstudium, auf Wahrheit (fest) begründete Wissenschaft; technisch begründete Arbeitsnormen; eine historisch begründete Tatsache
    3.Gründe für etw. angeben, etw. mit Gründen belegen (…)“
    Die Wortverlaufskurve des DWDS ist hier weniger aussagekräftig, da Begründen im Sinne von Argumentieren im gesamten Zeitraum gebräuchlich war und dazu gezählt wird.

Unsere Definition der drei Praxistypen

Die Beschreibung von Entdecken im Zitat entspricht der gängigen Vorstellung, enthält aber einen Typus von Entdecken, nämlich den der Selbstverwirklichung des Entdeckers, die ich hier beschreibe, nicht.
Link zu Drei Typen von Entdeckern

Im alltagsweltlichen Gebrauch wie bei dem Werbeslogan „Entdecken Sie die Strände der ägäischen Küste“ ist jedem klar, dass sie existieren und von Millionen von Menschen schon gesehen und besucht worden sind. Es wird beständig von Einzelnen etwas wiederentdeckt, was andere schon vor ihm entdeckt haben und was wieder vergessen wurde. Auch Erstentdeckungen wie die von Amerika durch Kolumbus sind häufig nur Entdeckungen für bestimmte Menschen oder soziale Gruppen, in diesem Fall für die Europäer, der dortigen indigenen Bevölkerung war dieses Land, wenn auch nicht der gesamte Kontinent, bekannt. Diesen scheinbar widersprüchlichen Gebrauch von Entdecken löst unsere Definition auf.

Entdecken ist immer Entdecken von etwas für jemanden, für den Entdecker selbst, eine andere Person, eine soziale Gemeinschaft.
Ein Beispiel: „Die Strömung war schon 300 Jahre vor mir allen Fischerjungen von Chili bis Payta bekannt; ich habe bloß das Verdienst, die Temperatur des strömenden Wassers zuerst gemessen zu haben." Alexander von Humboldt 1840 (2008, S. 116)

Erfinden ist das Schaffen von etwas Neuem für einen Zweck, anders formuliert, um ein Problem zu lösen
Erfinden ist die Schaffung von neuen Dingen, materiellen Gegenständen, ist Transformation und Verwandeln der Dinge des Kosmos und zweitens das Entwickeln von Programmen für die Praxis.

Gründen oder Begründen und ist das Erschaffen von neuen Strukturen, neuen Ordnungen aus bekannten und vorhandenen Elementen des Kosmos
Begründen im Sinne von Entdecken kann leicht mit dem Begründen im Sinne von Argumentieren und Gründe darlegen verwechselt werden (Abs.3.), Gründen naturgemäß weniger, aber es gibt Objekte, die man nicht gründen, sondern nur begründen kann.

Der dritte Praxistyp, das Gründen bedarf einer Erläuterung, weil er meist nicht als Form des Entdeckens verstanden wird.

Worum geht es beim Gründen?
Es geht nicht wie beim Entdecken um eine Ausweitung des menschlichen Kosmos, sondern darum, Elementen der Dimensionen Raum, Zeit und Dinge eine innere Ordnung, eine Struktur zu geben, eine neue Architektur zu erfinden.
Link zu Kosmos
Es geht auch nicht wie beim Erfinden darum, etwas Neues in die Welt, genauer gesagt in den Kosmos zu bringen. Gründer sind Eroberer, Stifter und Begründer von Institutionen.

Welche Arten von Gründungen gibt es? Fünf Typen

Es gibt Reichsgründungen, die den menschlichen Kosmos in seinen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Dimensionen deutlich verändern. Karl der Große schuf mit seinen Eroberungen die Grundlage für das europäische Staatensystem, Kaiser Otto die Grundlagen für die Bildung eines deutschen Reiches, Zarin Katharina die Große und Zar Peter gelang es das russische Reich zu arrondieren. Es gibt Gründungen von Dynastien wie die der Welfen, einem Adelsgeschlecht, das seit dem neunten Jahrhundert existiert. Dynastische Strukturen geben dem Kosmos in der Zeitdimension eine Struktur, sie schaffen Kontinuität und Sequenzierung durch die Generationenfolge der Herrscherfamilie.

Ein anderer Typus ist der der Gründung von Glaubensgemeinschaften wie zum Beispiel der protestantischen Kirche durch Martin Luther. Vorausgegangen war seine Entdeckung, dass man zum Heil nur durch Gnade kommt. Die Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche kann man als Erfindung eines Prototyps der deutschen Sprache verstehen. Zuvor existierten unterschiedliche Mundarten, aber noch keine einheitliche deutsche gesprochene und geschriebene Sprache.

Ein dritter Typus der Erzeugung neuer Strukturen des menschlichen Kosmos ist die Gründung von Wirtschafts- und Industriebetrieben oder -imperien. Ausgelöst durch technische Erfindungen wie zum Beispiel der des Telefons entstehen im 19. und 20. Jahrhundert große Unternehmen, die die Strukturen der drei Sphären der Ökonomie, nämlich Produktion, Distribution und Konsumtion stark verändern. In der Gründerzeit entwickeln sich neue Industriezweige, Unternehmen wie Krupp, Thyssen, Siemens entstehen. Mit der Erfindung des Computers wurde es möglich, Dienstleistungen und Produkte zu schaffen, die zuvor nicht existierten. Aus kleinen Startups wurden gigantische Imperien wie Amazon, Facebook, Google und Microsoft, die neue Ordnungsstrukturen in der Kommunikation, in der Konsumtion und in der Distribution von Waren und Informationen schufen.

Der vierte Typus ist das Begründen von Institutionen, bei Grimm hieß es noch Anstalten. Dazu kann man Schulen, Universitäten, Akademien zählen. Sie sind wie auch die Unternehmen ein Typus von Organisationen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie eine kulturelle Funktion erfüllen.

Der fünfte Typus ist das Begründen von wissenschaftlichen Disziplinen, von Zeitschriften, von Professionen.

Unser Sprachgefühl macht eine Unterscheidung zwischen dem Begründen und Gründen und dem Begründer und Gründer. Man kann Institutionen, Unternehmen, Reiche und Staaten gründen, aber eine wissenschaftliche Disziplin kann man nur begründen. Man kann soziale Organisationen gründen, während man philosophische oder wissenschaftliche Schulen und Disziplinen, Psychologische Lehrgebäude wie die Psychoanalyse oder Glaubensrichtungen begründen kann. Oft findet man die Kombination von beidem, zunächst die Begründung einer Denk- oder Glaubensrichtung gefolgt von der Gründung einer sozialen Organisation: Eine neue wissenschaftliche Disziplin gefolgt von neuen Fakultäten in Hochschulen, die Psychoanalyse als Lehrgebäude gefolgt von der Gründung der Psychoanalytischen Vereinigung, eine neue politische Richtung gefolgt von der Gründung einer Partei.

Die drei Praxistypen stehen in Wechselwirkung zueinander

So können aus Erfindungen und Entdeckungen Gründungen entstehen, Unternehmen im ersten und durch die Entdeckung von fremden Ländern neue Reiche im zweiten Fall. Jede Entdeckung wird einen dieser drei Faktoren prämieren, aber auch die anderen beiden Faktoren in geringeren Gewichtungen enthalten. Steht das Entdecken wissenschaftlicher Gesetze im Mittelpunkt, wird also vom Entdecker prämiert, kommt er häufig nicht drum herum, einen Apparat, ein Gerät erfinden müssen, um die Wirkung seiner Annahmen zu untersuchen, was man mit den vorhandenen nicht kann. Ein schönes Beispiel für eine solche Prämierung ist das Zitat von Stefan Hell, der ein physikalisches Gesetz revolutioniert hat und Lichtmikroskope baute, um dieses Gesetz anzuwenden:
„Die Biologen sehen mich vielleicht als jemanden an, der Geräte für sie entwickelt. Aber ein Entwickler bin ich nie gewesen“, sagt Hell. „Ich war fasziniert von der Idee, einer alten physikalischen Frage auf den Grund zu gehen, von der man dachte, man kenne die endgültige Antwort.“ Er benutzt den Begriff Entwickler, in unserer Terminologe Erfinder.

Wird etwas gegründet, so können daraus sowohl Erfindungen als auch Entdeckungen und weitere Gründungen entstehen. Nach Gründung des Deutschen Reiches, der Überwindung der Kleinstaaterei und des Absolutismus Mitte des 19. Jahrhundert, entstand in den sogn. Gründerjahren ein wahrer Boom an Neuerungen. Neue Industriezweige würden gegründet, Erfindungen gemacht und patentiert, Entdeckungen in den Wissenschaften gemacht und neue wissenschaftliche Disziplinen begründet. Ebenso können auf die Entdeckungen bisher unbekannter Länder Gründungen von Ländern folgen, heute würde das unter Kolonialismus fallen.

Interessant ist, dass sich die Begriffe Gründer und Gründung erst in dieser Zeit gebräuchlich werden und Eingang in die Alltagssprache finden, und dass die Bedeutung der seit dem 17. Jh gebräuchlichen Begriffe wie Begründer und Begründen, Entdecken und Erfinden eine neue Konnotation bekommen und ihr Gebrauch damit einen massiven Aufschwung nimmt. Dies zeigt die „Wortverlaufskurve“ des DWDS, die den Gebrauch der Wörter in schriftlichen Zeugnissen untersucht, sehr eindrücklich. Der Abschwung im Gebrauch der Begriffe Gründer und Gründung beginnt kurz vor der Jahrtausendwende und hält an.

tar_03, id110, letzte Änderung: 2024-10-30 18:19:36

© 2023 Prof. Dr. phil. habil. Kornelia Rappe-Giesecke