Pablo Picasso "Ich liebe die Kunst als meinen einzigen Lebenszweck"

Kunst machen müssen: Sinn, Triebkraft und Berufung

„Ich male, wie ich atme.“ (ÜK 8)

„Die Malerei ist stärker als ich, sie heißt mich tun, was sie will.“ (ÜK 78)

„Aber wenn es um ein Bild geht, denken die Leute, sie müssen es verstehen. Wenn sie nur vor allem erst einmal begreifen würden, daß ein Künstler schafft, weil er schaffen muss, daß er selber nur ein unbedeutendes Teilchen der Welt ist und daß ihm nicht mehr Aufmerksamkeit zugewendet werden sollte als vielen anderen Dingen auch, die uns in der Welt erfreuen, obwohl wir sie nicht erklären können. (W&B 45)

„Im Grunde kommt alles nur auf uns selbst an. Man hat eine Sonne mit 1000 Strahlen im Leib. Alles Übrige zählt nicht. Einzig deshalb ist Matisse Matisse. Er trägt diese Sonne im Leib, und nur deshalb geschieht von Zeit zu Zeit etwas.“ (W&B 29)

Was immer auch der Ursprung des Triebes sein mag, der mich zum Schaffen zwingt, ich will ihm eine Form geben, die einen gewissen Bezug hat zur sichtbaren Welt, und sei es auch nur, um mit dieser Welt Krieg zu führen. Sonst ist Malerei nicht mehr als irgend ein Glückstopf, in den jedermann greifen und sich herausziehen kann, was er selbst hineingeworfen hat.“ (FG 225)

Woher ich diese Kraft des Schöpfens und Gestaltens habe? Ich weiß es nicht. Ich habe nur einen Gedanken: Die Arbeit.“ (ÜK 9)

Energie: „Ich verschwende die meine auf eine einzige Sache: meine Malerei. Alles andere wird ihr geopfert - du und jeder andere - einschließlich meiner selbst.“ (FG 294)

„Ich bin kein Pessimist, ich verabscheue die Kunst nicht, denn ich könnte nicht leben, ohne ihr nicht all meine Zeit zu widmen. Ich liebe sie als meinen einzigen Lebenszweck. Alles, was ich im Zusammenhang mit der Kunst tue, bereitet mir die größte Freude. Doch deshalb sehe ich noch lange nicht ein, weshalb alle Welt sich die Kunst vornehmen, ihr die Beglaubigungsschreiben abverlangt und ihrer eigenen Dummheit in Bezug auf dies Thema freien Lauf lässt.“ (W&B 46)

Maximen für Entdecker
Picasso folgt wie andere Entdecker diesen Maximen, die ich bei meinen Analysen der karrieresteuernden Triebkräfte gefunden habe. Die Mission ist in seinem Fall nicht die Entdeckung von naturwissenschaftlichen Gesetzen oder von Materie wie bei den Curies, oder die bisher unbekannter Teile unseres Kosmos, sondern die Mission neuartige Kunstwerke zu schaffen und neue Kunststile zu begründen.
Verfolge Deine Ideen, glaube an sie!
Nimm die Mission ernst, die Du spürst!
Vertraue Deinen Talenten und Deinen Triebkräften, sie liefern die notwendige Energie!
Sei bereit alles Deiner Entdeckung unterzuordnen: Deine Person, Deine Bedürfnisse, Deine Gesundheit, Deinen Wohlstand und auch die Bedürfnisse der anderen!
Lebe bescheiden, sei bedürfnislos. Lass Dich nur von dem Bedürfnis zu entdecken leiten!

Diese und die noch folgenden Maximen finden Sie im Menüpunkt Maximen für Entdecker

Einige Hinweise zum Lesen dieser Seite
Wenn man sich einen Eindruck von Picassos Bildern verschaffen möchte, auf die ich mich bei der Darstellung seiner Entdeckungen beziehe, oder Fotos von ihm, Fotos seiner Frauen und den Bildern, die er von ihnen gemalt hat, sehen möchte; Videos, auf denen man ihm beim Malen zuschauen kann, dann ist die Website Pablo Ruiz Picasso Net die wie ich finde geeignetste. Ich kann seine Bilder wegen der Rechte Anderer daran hier leider nicht zeigen und hab Lösungen gefunden, die die umfassende Sammlung auf dieser Website aber nicht ersetzen können.
Insbesondere der Menüpunkt "Kunstepochen" oder "Periods" in der englischen Originalversion ist sehr hilfreich, um das Typische der jeweiligen Phase und den Wandel der Stilrichtungen zu sehen und zu verstehen.
Link zu Pablo Ruiz Picasso Net

In den folgenden Texten finden Sie wie oben im ersten Abschnitt viele Zitate. Die Buchstaben sind die Monogramme der Autoren, Sie finden die Literaturliste am Schluss dieser Seite.

Gliederung

  1. Picasso der Entdecker
  2. Picassos Künstlerkarriere
  3. Picasso ein Spanier im Exil - Gemeinsam mit Karl Giesecke
  4. Die Bedeutung der Frauen für seine Künstlerkarriere
  5. Die Bedeutung der Freunde für seine Karriere
  6. Verwendete Literatur

1. Picasso der Entdecker

1.1 Innovieren und Zerstören als Programm des Entdeckens

Im Menüpunkt „Programme und Strategien des Entdeckens“ haben wir die These aufgestellt, dass Entdecken immer eine Prämierung der revolutionären Dimension des Verwandelns voraussetzt.
Weder soll der derzeitige Stand des Wandels stabilisiert werden, noch soll bereits Vorhandenes lediglich abgewandelt werden. Es geht um Umwandeln, das aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der drei Prozesse Erfinden und Ersetzen des Vorhandenen, also Innovieren, und Vernichten, also dessen Zerstörung, um einen disruptiven oder revolutionären Prozess.

Link zu Erfinden, Innovieren und Zerstören als Programm
Link zur Website Wandeltriade: Wandeltriade

Diese These, die sich für die Entdeckungspraxis von Wissenschaftlern und Bergsteiger in den Fallanalysen hat verifizieren lassen, trifft offensichtlich auch auf entdeckende Künstler zu.

Picassos künstlerische Praxis ist Entdeckungspraxis. Er selbst benutzt den Begriff Revolution und revolutionieren beständig, wenn er das Wesen der Kunst und den Sinn seiner künstlerischen Praxis beschreibt.

Schaut man sich seine sein Leben lang währende künstlerische Tätigkeit an, so sieht man, dass er neue Stilrichtungen erfunden hat, bisher nicht zu bildender Kunst gehörende Werkgattungen geschaffen hat und sich auf radikalste von den damals vorherrschenden Kunststilen abgesetzt hat.

Ich zitiere hier deshalb die zuvor in den Analysen der Entdeckerkarrieren von Wissenschaftlern und Weltendeckern gefundenen Maximen für Entdecker und belege dann mit Zitaten von Picasso meine These, dass es Künstler gibt, die Entdecker sind, auf die -wie auf alle Entdecker- zutrifft, dass sie disruptive Prozesse in Gang setzen.

Maximen für Entdecker
Entdecken ist Verwandeln durch Revolutionieren
Traue keinen Gesetzen, Grundannahmen, Modellen und Vorgehensweisen!
Entdecken ist Revolutionieren, nicht bewahren oder verbessern. Es geht darum Bestehendes zu vernichten, Neues zu erfinden und das Alte zu ersetzen. Dieses Denken und Handeln ruft notwendigerweise Widerstand hervor. Gibt es Widerstand, dann bist Du meist auf dem richtigen Weg!
„Träumer“, “Schwärmer“ (Marie Curie), Außenseiter machen die Entdeckungen!
Du kannst Dich nicht an Normalität orientieren, an welcher auch immer. Nicht an den Vorstellungen, die die eigene Familie, die sozialen Gemeinschaft, die Profession, die wissenschaftliche Disziplin, die Organisationen und Institutionen, mit denen Du interagierst, haben. Du stellst für sie eine Abweichung dar!

Gegen das Reproduzieren

Mit der Ausnahme von wenigen Malern, die der Malerei neue Horizonte öffnen können, wissen die jungen Maler heutzutage nicht, welchen Weg sie gehen sollen. Anstatt sich unsere Untersuchungen vorzunehmen und ihnen klar und deutlich entgegenzuwirken, gehen sie ganz darin auf, die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken – wo uns doch wirklich die ganze Welt offen steht und alles darauf wartet, getan zu werden, nicht aber, bloß wieder getan zu werden. Warum klammern sie sich so krampfhaft an etwas, dass seine Versprechen schon erfüllt hat? Es gibt kilometerweise Bilder «in der Manier von...», doch einen jungen Mann, der in seiner eigenen Manier malt, findet man selten. Möchte er gern glauben, dass der Mensch sich nicht wiederholen könne? Sich wiederholen bedeutet den Gesetzen des Geistes zuwider handeln. Es bedeutet vor allem Eskapismus“ (W&B 46)

„Was ist Plastik? Was ist Malerei? Immer klammert man sich an altmodische Ideen, an überlebte Definitionen, als ob es nicht gerade die Aufgabe des Künstlers wäre, neue zu finden.“ (ÜK 71)

Der revolutionäre Charakter der Kunst

„Das oberste und letzte Kunstgesetz ist, jedes zu brechen.“ Paul Pörtner: Literaturrevolution 1961

Picassos Reaktion auf die Bitte amerikanischer Künstler und des MoMA (Museum of Modern Art in New York) in den frühen vierziger Jahren, sie und ihre moderne Kunst gegen die Anfeindungen der Politik, die ihnen Dekadenz und eine kommunistische Verschwörung vorwerfen, zu verteidigen, veranlasst ihn, seine Annahme über das Wesen der Kunst zu formulieren.

Kunst ist eine Art Aufruhr. Etwas, das einfach nicht frei sein darf. Kunst und Freiheit muss man sich wie das Feuer des Prometheus rauben, um sie gegen die bestehende Ordnung anzuwenden. Wenn Kunst einmal offiziell und für jeden greifbar ist, dann entsteht ein neuer Akademismus. (FG 166f.)

Innovation, Ersetzen des Bestehenden entsteht im Umgang mit geltenden Regeln

Seine zweite Idee zu den Forderungen der amerikanischen Künstler:
„…doch das Recht auf freien Ausdruck ist etwas, dass man sich nimmt, nicht etwas, das einem geschenkt wird; es ist kein Prinzip von dem man sagen könnte, dass es vorhanden sein müsse. Das einzig Prinzipielle daran ist: Wenn dieses Recht existiert, so existiert es, um gegen die bestehende Ordnung gebraucht zu werden.“ (FG 167)

Was heute falsch ist an der modernen Kunst und wir könnten ebenso gut sagen, was ihr Tod sein wird, ist die Tatsache, dass wir keine starke, mächtige akademische Kunst haben, gegen die zu kämpfen sich lohnt, es muss eine Regel geben, selbst wenn es eine schlechte ist, denn die Macht der Kunst bestätigt sich in der Überwindung der Tabus. Beseitigung aller Hindernisse aber bedeutet nicht Freiheit, sondern Lizenzierung – eine fade Angelegenheit, die alles rückhaltlos, formlos, sinnlos und nichtig macht.“ (FG 167)

„Heute sind wir in der unglücklichen Lage, keine Ordnung und keinen Kanon mehr zu haben, die künstlerische Produktion bestimmten Regeln unterwerfen. Die Griechen, Römer, Ägypter hatten ihre Regeln. Ihrem Kanon konnte sich niemand entziehen, weil die sogenannte Schönheit durch Definition in diesen Regeln enthalten war. Aber sobald die Kunst jede Verbindung zur Tradition verloren hatte und jene Befreiung, die mit dem Impressionismus begann, jedem Maler gestattete, zu tun, was er wollte, war es mit der Malerei vorbei. Als man sich darauf einigte, dass es auf die Gefühle und Emotionen des Malers ankomme, dass jeder die Malerei neu schaffen könne, oh, wie er sie verstand, ganz gleich, wo er begann, da gab es keine Malerei mehr. Es gab nur noch Individuen. Die Skulptur starb den gleichen Tod.“ (ÜK 11f)

Matisse bestätig die These des disruptiven Wandels in einem Gespräch mit Picasso und seiner Frau über Jackson Pollock: Nach einem komme etwas komplett anderes, das man als Angehöriger einer bestimmten Epoche nicht verstehen könne. „Seht ihr, es ist sehr schwierig, die nachfolgenden Generationen zu verstehen und richtig einzuschätzen. Nach und nach schafft man sich, wenn man durchs Leben geht, nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch eine ästhetische Doktrin…Und so wird es um so schwerer, eine Malerei zu verstehen, deren Ausgangspunkt jenseits der eigenen Endstation liegt. Sie beruht auf vollkommen anderen Grundlagen.“ Picasso entgegnet: „Und ich stimme nicht mit Dir überein. Und es ist mir auch ganz gleich, ob ich fähig bin, zu beurteilen, was nach mir kommt. Ich bin gegen das ganze Zeug.“ (FG 224)

Auf dem Cover: Großes blaues Selbstportrait 1901

Wie zeigen sich diese Grundannahmen in seiner Karriere und seiner künstlerischen Praxis?

Er weigert sich, an der Kunsthochschule in Madrid, obwohl er die Aufnahmeprüfung mit Brillanz bestanden und ein Stipendium von seiner Familie bekommen hat, zu studieren. Nach einem Tag geht er nicht mehr dorthin. „Warst Du in der Akademie? Warum sollte ich dort hingehen? Warum denn?“ (JS 37f)

Weil er sofort begreift, dass er zunächst die alten Meister kopieren lernen soll, sich mit Reprodzieren beschäftigen soll, was wie er vermutet daran hindern würde, Revolutionäres, Innovatives zu schaffen. Der Familienrat entzieht ihm die Unterstützung, der Vater fördert ihn, so gut er kann, obwohl er entsetzt ist, dass sein Sohn mit dieser Entscheidung seine Karriere ruiniert hat. Er hat die nächsten Jahre beständig finanzielle Probleme.

Picasso schafft sich wie alle Entdecker sein eigenes Curriculum, studiert im Prado Bilder, malt eigene, begründet eine Kunstzeitschrift, die bald floppt, und beschäftigt sich mit der Entwicklung der neuen Richtungen der Malerei in Frankreich, dem Impressionismus und seinem geliebten Cézanne.

„Im Grunde kommt alles nur auf uns selbst an. Man hat eine Sonne mit 1000 Strahlen im Leib. Alles Übrige zählt nicht. Einzig deshalb ist Mattisse Mattisse. Er trägt diese Sonne im Leib, und nur deshalb geschieht von Zeit zu Zeit etwas.“ (W&B 29)

Maximen, die ich bei allen Entdeckern gefunden habe:
Suche das Abenteuer, das Unbekannte und das Glück zu denken, zu erfinden und auf dem Weg zu einer Entdeckung zu sein!
Verfolge keine traditionellen Ausbildungswege, sie engen Dich ein. Schaff Dir Dein eigenes Curriculum!

Eine geniale Verbindung von Revolutionieren und Bewahren der Werke der alten Meister

In seinen letzten Lebensjahren malt er einige Bilder der alten Meister, die er zwar im Prado studiert, denen er damals aber nicht nacheifern wollte, in seinem eigenen Stil, manchmal kubistisch, manchmal im Mix aus den Stilen seiner verschiedenen Epochen: Courbets Mädchen am Seineufer, die Meninas von Velasquez, Delachroix‘s Frauen von Algier und Manets Frühstück im Freien, genannt die 'D'Après' Serie. Er würdigt sie und bewahrt ihre Werke in einer stark modifizierten Form, der man sofort ansieht, dass sie von Picasso stammen muss. Immer verfolgt er eine eigene Idee dabei, die er ausdrücken will. All das erst, nachdem er sehr viel Eigenes geschaffen hat und sich dieses Vergnügen offensichtlich erlauben konnte.

André Breton, ein Surrealist, der Picasso in einer späteren Phase seiner Karriere durch die gemeinsame Arbeit an der Zeitschrift Minotaure kennengelernt hat, sagt über ihn: „Was ihn in unseren Augen von der Gruppe der sogenannten Kubisten, die uns kaum interessierten, unterschied, ist sein Lyrismus, der ihn sehr früh schon dazu brachte, sich große Freiheiten gegenüber den strengen Regeln herauszunehmen, die er selbst und seine damaligen Freunde aufgestellt hatten.“ (B 26)

Selbst die Freiheit von eigenen Regeln wird er sich immer wieder herausnehmen und neue Stilrichtungen, Innovatives schaffen. Das gilt auch für Regeln, die andere in seiner Malerei gefunden zu haben meinen, diese Regeln interessieren ihn überhaupt nicht. Wenn Sie ihm erklären, „…wie man malen müsse, wo doch für mich jedes Bild nicht ein Ende, nicht ein erreichtes Ziel, sondern ein glückliches Ereignis, eine Erfahrung ist.“ (W&B21)

Regeln hindern ihn an seiner Selbstverwirklichung und seiner individuellen Ausdruckmöglichkeit
„An den Fehlern erkennt man die Persönlichkeit. Wenn ich mich jetzt hinsetze, um Schnitzer zu korrigieren aufgrund von Regeln, die gar nichts mit mir zu tun haben, so ginge in der Grammatik, die ich mir nicht einverleibt habe, meine persönliche Note verloren. Lieber verfertige ich ein Ich nach meinem Gusto, als mich Regeln zu beugen, die mich nichts angehen.“ (ÜK 90)

Der revolutionäre Charakter eines neuen Kunststils, des Kubismus

Zum Kubismus: „…eine Kunst, der es vor allem um die Form geht, und wenn eine Form einmal geschaffen ist, dann ist sie da und lebt ihr eigenes Leben weiter.“ (B 54,5)

Die sogenannten kubistischen Meister staunten selbst über das, was sie taten, und suchten Theorien, um sich zu rechtfertigen. Der Kubismus hat sich noch nie nach einem Programm gerichtet. Mein ästhetisches Denken war im ganzen nur eine der Form meines künstlerischen Tuns; es blieb immer in Übereinstimmung mit meiner rein praktischen Arbeit (ÜK 105-106)

Der Kubismus wendet sich von den geltenden Grundprinzipien der Malerei ab: Der bildlichen Darstellung der Welt, der Arbeit mit Licht und Schatten wie auch mit Vordergrund und Hintergrund und mit der Zentralperspektive, die in der Renaissance entdeckt wurde, die Bilder sind aspektivisch konstruiert. Es ist eine Revolte gegen die abendländische Kunst sagt Walther und weiter mit Bezug auf das Bild der Desmoiselles d‘Avignon:
„Picasso wollte alles zugleich zerstören. Der Mythos von der Schönheit der Frau war dabei noch das Geringste. Er revoltierte gegen das Bild, das man sich von ihm als Maler bisher gemacht hat, und er revoltierte mit diesem Bild gegen die gesamte abendländische Kunst seit der Frührenaissance. Das Bild war freilich keine Schöpfung aus dem Nichts. Picasso hatte zuvor iberische und afrikanische Skulpturen gesehen. Sie bargen jene archaischen Formen in sich, die in zu Stilisierung der natürlichen Formen , zur rigorosen Geometrisierung und schließlich zur radikalen Deformation anregten.“ (IW 39f)

Picasso: „Malerei ist keine Frage der Sensibilität. Bei ihr geht es darum, die Macht an sich zu reißen, die Macht zu übernehmen von der Natur und nicht von ihr zu erwarten, dass sie dir Auskunft und gute Ratschläge erteilt.“ (FG 226) „Hat ein Maler es sich in den Kopf gesetzt, seine Farben willkürlich zu bestimmen, und benutzt er eine Farbe, die sich nicht auf der Palette der Natur, sondern außerhalb dieser Palette findet, dann wird er auch für alle übrigen Teile des Bildes Farben und Zusammenklänge benutzen, die sich aus der Zwangsjacke der Natur befreit haben. Und gerade das macht ihn interessant.“ (FG 227)

"Ungegenständliche Malerei wirkt nie revolutionär." (ÜK 44)
Picasso malt gegenständlich „Mehr als irgend ein anderer gegenständlicher Maler reagiert Picasso auf alles, was ihn umgibt jede seiner Arbeiten ist eine Antwort auf etwas was er gesehen oder gespürt, was ihn überrascht oder gerührt hat, er reagiert auf alles, was er sieht.“ sagt sein Freund Jacques Prévert. (B 52)

Revolutionäre Maler wenden sich an ein noch nicht vorhandenes Publikum

"Jedes neue Werk von Picasso entsetzt das Publikum, bis das Erstaunen sich in Bewunderung verwandelt." sagt Ambroise Vollard, sein Galerist. (IW 95)

Jaime Sabartés: „Marcels Beispiel beweist, dass die revolutionärsten Vorstöße von Picasso auf natürliche Weise klassisch werden. Keines von Picassos Werken irritiert ihn, auch das gewagteste reizt ihn weder zum Widerspruch noch zum Lachen… Diese Malerei hat ihn anfangs bestimmt aus der Fassung gebracht, aber in 20-jährigem täglichen Umgang mit den Werken hat er gelernt, eine Sprache zu lesen, die vielen heute noch unverständlich ist. Die Entwicklung dieses einfachen Chauffeurs beweist, dass Picasso, der sich immer an ein noch nicht vorhandenes Publikum wendet, zugleich auch dieses Publikum schafft und ihm die Maßstäbe aufzwingt, mit denen sein Werk beurteilt werden muss. Marcel ist anderen voraus, weil seine Lehrzeit durch den Umgang mit Picassos Malerei beträchtlich verkürzt worden ist.“ (B 104)
Picasso begründet das so: „Alles Neue, alles was der Mühe wert ist, geschaffen zu werden, kann nicht anerkannt werden, denn die Leute haben einfach nicht den Blick für die Zukunft.“ (FG 167)

„In den Museen sieht man nur “misslungene Bilder“. Was wir jetzt als „Meisterwerke“ ansehen, sind die Werke, die sich am weitesten von jenen Regeln entfernten, die die Meister der betreffenden Epoche aufstellten. Die besten lassen am deutlichsten das“ Stigma“ des Künstlers erkennen, der sie gemalt hat.“ (ÜK 82)

Zerstören und Innovieren im künstlerischen Prozess

Maximen für die Entdeckungspraxis
Wenn Du in Deiner Entdeckungspraxis zu scheitern drohst, Irrtümer auftauchen, mach weiter. Hinterfrage Deine Annahmen, diese kritischen Stellen sind oft der Anfang der Entdeckung!
Halte Phasen der Unsicherheit, des ‚Schwimmens‘ aus, wenn Du spüren kannst, dass etwas noch Zeit zum Reifen braucht!
Einfälle und Theorien dürfen und müssen auf den ersten Blick "verrückt sein", "sonst gibt es keine Hoffnung", sagt Niels Bohr oder "sie sind nicht wichtig", sagt Medawar.

"Früher näherten sich die Bilder ihrer Vollendung in Etappen. Jeder Tag fügte etwas Neues hinzu. Ein Bild pflegt die Summe von Ergänzung zu sein. Bei mir ist ein Bild die Summe von Zerstörungen. Ich mache ein Bild – und dann zerstöre ich es. Doch zu guter letzt ist nichts verloren gegangen: das rot, das sich an einer Stelle wegnahmen, taucht anderswo wieder auf." (W&B 35f)

„Man muss das Bild zerstören, es mehrere Male überarbeiten. Jedes Mal, wenn der Künstler eine schöne Entdeckung zerstört, unterdrückt er sie nicht eigentlich, sondern er wandelt sie vielmehr um, verdichtet sie, macht sie wesentlicher. Was schließlich dabei herauskommt, ist das Ergebnis verworfene Funde.“ (W&B 39)

Es gibt niemals ein ‚fertiges‘ Bild, sondern die verschiedenen Zustände eines Bildes, die gewöhnlich im Laufe der Arbeit verschwinden.“ (B 134)

"Es muss überall Dunkelheit sein, außer auf der Leinwand, damit der Maler von seinem eigenen Werken hypnotisiert wird und fast wie in Trance malt. Er muss so tief wie möglich in seiner eigenen inneren Welt bleiben, wenn er die Grenzen überschreiten will, die seine Vernunft ihm aufzuzwingen versucht." (FG 78) In seiner Vorstellung würden wir sagen.

1.2.Seine künstlerische Entdeckungspraxis: Neues Entdecken, Erfinden, Begründen

Die Praxis des Entdeckens entsteht aus dem Zusammenwirken von drei Faktoren: Unbekanntes entdecken, Neues erfinden und Neues gründen und begründen.

Entdeckungspraxis ist eine besondere Form individueller oder sozialer Praxis der Menschen. Jede Praxis schafft und verwandelt den menschlichen Kosmos. Die Praxis des Entdeckens unterscheidet sich von alltäglicher Praxis dadurch, dass der durch sie geschaffene Wandel Ausmaße hat, die den menschlichen Kosmos verändern und nicht nur Auswirkungen auf einzelne Menschen oder kleine Gruppen hat.
Link zu Erfinden Entdecken Gründen-Die Triade der Entdeckungspraxis

Entdeckungspraxis Triade

Unbekanntes Entdecken - die Form -, einen neuen Malstil erfinden und eine Stilrichtung begründen

Als wir den Kubismus ‚erfanden‘, hatten wir keinerlei Absicht, den Kubismus zu erfinden. Wir wollten nur ausdrücken, was in uns war.Keiner von uns hatte einen besonderen Schlachtplan entworfen (…) Heutzutage stellen die jungen Maler oft ein Programm auf, dass sie befolgen wollen, und bemühen sich wie fleißige Studenten, ihre Aufgaben auszuführen.“ (W&B 42)

„Die sogenannten kubistischen Meister staunten selbst über das, was sie taten, und suchten Theorien, um sich zu rechtfertigen.“ (ÜK 105-106)
Führend waren dabei er und George Braque, für die Verbreitung sorgte sein Galerist Kahnweiler.

„Man hat den Kubismus mathematisch, geometrisch, psychoanalytisch zu erklären versucht. Das ist pure Literatur. Der Kubismus hat plastische Ziele. Wir sehen darin nur ein Mittel, das auszudrücken, was wir mit dem Auge und dem Geist wahrnehmen, unter Ausnützung der ganzen Möglichkeiten, die in den wesenhaften Eigenschaften von Zeichnung und Farbe liegen. Das wurde uns eine Quelle unerwarteter Freuden, eine Quelle der Entdeckungen.“ (POB 216f)

„Wir versuchten eine neue Ordnung aufzubauen… Niemand brauchte zu wissen, ob es der oder jener war, der dies oder jenes Bild gemalt hatte. Aber der Individualismus war schon zu stark… Sobald wir sahen, dass das kollektive Abenteuer eine verlorene Sache war, musste jeder einzelne von uns sein individuelles Abenteuer finden“ (ÜK 52)

Eine bebilderte Einführung in den Kubismus findet sich auf Wikipedia. Die Abbildung des damals skandalösen und den Kubismus auslösenden 1907 gemalten Bildes von Picasso: Les Demoiselles d’Avignon, das im MoMA hängt, ist nur in Amerika gemeinfrei, man kann es aber nach Warnhinweisen auf Wikipedia anklicken.
Link zu einer Einführung in den Kubismus

Wie wird ein neuer Stil geboren?

Picasso sagt, dass es in jeder Zivilisation und Kultur Themen gibt, die sich immer wiederholen, es gäbe höchstens zwanzig, weil sie auf einer gemeinsamen menschlichen Erfahrung beruhen und oft wichtige Phasen der menschlichen Entwicklung wie Geburt, Leiden und Tod darstellen. Nicht unwesentliche Tatsachen sondern,“ die Intensität dieses Augenblicks“ muss dargestellt werden.

„Auf jedes Thema kommen Tausende von Sujets, vielleicht noch mehr. Das Sujet ist eine der gültigen Phasen innerhalb eines Themas, das übrige ist nur Anekdote. Und für jedes neue Sujet gibt es einen neuen Maler. Der Maler, der die Malerei in ihrer Geschichte einen Schritt vorwärts bringt, ist derjenige, der ein neues Sujet entdeckt hat.“ (FG 247)

Er nennt einige Beispiele: Courbet wollte Menschen nicht im Atelier malen, er nahm seine Modelle mit ins Freie, malte sie dort und entdeckte ein neues Sujet, das später Realismus genannt wurde, eine neue Richtung der Kunst. Ein weiteres Beispiel: Die Impressionisten beschäftigten sich damit, wie ein Gegenstand zu jeder Stunde des Tages in wechselndem Licht aussieht und mit den dadurch hervorgerufenen unablässigen Veränderungen. Die Kubisten analysierten die Beziehung zwischen Gegenständen und machten daraus strenge Kompositionen. „Ein neuer Stil war geboren. Es war wieder möglich geworden, sich den großen Themen zuzuwenden.“ sagt er in dem von seiner Frau Francoise Gillot aufgezeichneten Gespräch. (FG 248)

Seine Verwendung der Begriffs Sujet (Tausende Sujets?) finde ich unklar, meint er Kunststile? Die Bedeutung nach DWDS: „Gegenstand, Motiv, Thema einer künstlerischen Darstellung“

Mit der Rolle seiner Frauen und Musen bei der Entstehung neuer Stile beschäftigt sich der 4. Abschnitt.

Die Gauklerfamilie ist ein Bild aus der Rosa Periode, die ab 1904 die 1901 begonnene Blaue Periode ablöst, darauf folgt 1907 die Période Nègre und 1908 die Kubistische.

Künstler, die Unbekanntes entdecken

„Unsere Themen mögen anders sein, weil wir Gegenstände und Formen in die Malerei einführten, die früher nicht beachtet wurden. Wir blicken mit offenen Augen - und auch mit offenem Verstand - auf unsere Umwelt. Wir geben der Form und der Farbe die ihnen eigene Bedeutung, soweit wir sie sehen können; in unseren Themen wahren wir die Freude der Entdeckung, dass Vergnügen am Unerwarteten; unser Thema an sich muss eine Quelle des Interesses sein. Doch wozu berichten, was wir tun, wenn jeder, der will, es sehen kann.“ (W&B 16)

Die folgenden als Gedicht apostrophierten Sentenzen werden Picasso zugeschrieben. Ich habe die Quelle nicht finden können, in Picassos „Wort und Bekenntnis – die gesammelten Dichtungen und Zeugnisse“ finden sich allerdings viele Formulierungen und Gedanken wieder. Die Prämierung der Innovation und die Ablehnung des Bewahrens im Sinne unserer Wandeltriade ist sein Programm, das seine persönliche Biografie und seine professionelle Karriere prägt. Den Prozess des Entdeckens beschreibt er als Wagnis, als heiliges Abenteuer. Der Entdecker muss die diesem Prozess innewohnende Ungewissheit nicht nur aushalten, sondern nutzen, das Setzen von Zielen ist kontraproduktiv.

Er skizziert die Persönlichkeit des modernen Menschen - und damit ist auch seine eigene gemeint - die Menschen eigen sein muss, damit sie sich auf den Prozess des Entdeckens: “ich finde“ einlassen können und innovative Werke schaffen können.

Ich suche nicht – ich finde
Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuem.
Finden – das ist das völlig Neue!
Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!
Die Ungewißheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewißheit, in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen: Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.
https://1000-zitate.de/12214/Ich-suche-nicht-ich-finde.html Zugriff 6.12.2024

In den Bekenntnissen aus dem Jahre 1923 schreibt er: „Beim Malen bedeutet «Suchen» meiner Ansicht nach gar nichts. Auf das Finden kommt es an.“ (…) Wenn ich male, habe ich nichts anderes im Sinn, als zu zeigen, was ich gefunden habe, und nicht, was ich suche.“ (W&B 9)

Was sagen andere Künstler darüber, was sie bei ihrer künstlerischen Arbeit motiviert und wie sie den Prozess des Entstehens eines neuen Bildes empfinden. Hier einige Zitate aus den Interviews mit zwölf bildenden und freien Künstlern:

Entdeckerlust und Abenteuer erleben, Wagnisse und Risiken eingehen - Neugier auf das was passiert und entsteht, sich selbst zu überraschen im künstlerischen Prozess - Glücksgefühle, Freude, Spaß beim Malen, den Flow zu erleben

Neugier ist bei allen Entdeckern überaus stark ausgeprägt: Auf die Frage warum er sich eine Ausstellung seiner Bilder nicht anschauen wolle, sagt er zu Brassaï: „Ausstellungen reizen mich nicht mehr. Meine alten Arbeiten interessieren mich nicht mehr. Ich bin viel neugieriger auf die Bilder, die ich noch nicht gemalt habe.“ (B 177)

Zur Rolle des Unbewussten in der künstlerischen Praxis

Während der surrealistischen Periode, die Mitte der zwanziger Jahren beginnt, übten sich die Künstler im sogn. automatischen Schreiben, das der Regel des freien Assoziierens in der Psychoanalyse vergleichbar ist, die die Patienten auffordert, alles unzensiert zu sagen, was ihnen einfällt. Picassos 1935 veröffentlichten Gedichte sind Beispiele dafür (W&B 49-63). Die Surrealisten wie Salvador Dali und auch Picasso lasen Freud, Picasso war mit Jacques Lacan bekannt, Brassäi berichtet davon, dass Lacan an den privaten Aufführungen von Picassos Stücken teilnahm.

„Selbst die automatischen Texte der Surrealisten wurden zuweilen korrigiert. Und weil es so etwas wie einen totalen Automatismus nicht gibt, weshalb soll man da nicht offen zugeben, dass man von der verborgenen Schicht des Unterbewussten zwar nach Kräften gebraucht macht, sie aber ständig unter Kontrolle hält?“ (FG 224)

Buchcover von Wort und Bekenntnis - Von ihm selbst verfasste 'Bekenntnisse' über sich und seine Kunst aus den 1920er und 1930er Jahren

Der Artikel des Psychoanalytikers Carl Gustav Jung über Picasso, der 1933 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen war, wurde vom Verlag in „Wort und Bekenntnis - Die gesammelten Dichtungen und Zeugnisse" 1954 aufgenommen.

Jung, zu dessen Ideen die vom "kollektiven Unbewussten" gehört, schrieb über ihn:
„Picassos Gegenstand sieht anders aus, als es der allgemeinen Erwartung entspricht, ja sogar so anders, daß es nicht einmal mehr den Anschein hat, als ob überhaupt Gegenstände der äußeren Erfahrung gemeint seien. Die chronologische Reihe zeigt eine zunehmende Entfernung vom empirischen Gegenstand und eine Zunahme der Elemente, die keiner äußeren Erfahrung entsprechen, sondern einem „Innen“ entstammen, das hinter dem Bewusstsein liegt. … Hinter dem Bewusstsein kommt nicht das absolute Nichts, sondern die unbewusste Psyche, welche das Bewusstsein von hinten und innen ebenso affiziert, wie die äußere Welt von vorne und außen. Jene Bildelemente also, welche keinem Außen entsprechen, müssen dem Innen entstammen.“ Carl Gustav Jung (W&B 135)

Das innere Ich ist notgedrungen auf meinem Bild, da ich es doch gemalt habe. Nicht darum muß ich mich sorgen. Was ich auch mache, es ist stets darin. Es wird sogar viel zu sehr darin sein. Schwierig ist nur der Rest.“ (ÜK 89)

Meine Gedanken interessieren mich weniger als das was ich unbewusst will. (ÜK 105)

Auf jeden Fall ist das Unbewusste so stark in uns, dass es sich auf die eine oder andere Weise ausdrücken muss. Es sind die Wurzeln, durch die sich alles mitteilt, von einem Wesen zum anderen, was zur unterirdischen Schicht des Menschlichen gehört. Was wir auch tun, es drückt sich aus, auch gegen unseren Willen."(FG 224)

Picasso interessiert sich wie viele andere Künstler der französischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Kunst außereuropäischer Völker, die L’Art Nègre. Seine Begeisterung für Masken und andere sogn. primitive Kunst, mit der er sich 1907 beschäftigt, inspiriert ihn zu „Les Demoiselles d’Avignon“, ein revolutionäres Bild, das manche als das erste kubistische, andere als "Versuch über die apotropäische Funktion der Kunst" und er selbst als "sein erstes exorzistisches Bild" bezeichnet. Apotropäisch bezeichnet Unheil abwendende und Dämonen austreibende Praktiken. Picasso gab ihm den Namen "Das philosophische Bordell", den bekannten gab ihm ein Galerist. (GPF 44) Er übermalt seinen ersten Versuch nach einem Museumsbesuch, er hatte dort die afrikanischen und iberischen Masken und Skulpturen gesehen, die ihn zu dieser Erkenntnis über den kulturellen Sinn der Malerei führten:

„Die Menschen schufen diese Masken und die anderen Gegenstände zu geheiligten Zwecken, zu magischen Zwecken, als eine Art Vermittler zwischen ihnen selbst und den unbekannten bösen Mächten, die sie umgaben, um ihre Furcht und ihren Schrecken zu überwinden, indem sie ihnen Form und Gestalt verliehen. Malerei ist eine Form der Magie, dazu bestimmt, Mittler zwischen jener fremden feindlichen Welt und uns zu sein. Sie ist ein Weg, die Macht an uns zu reißen, indem wir unseren Schrecken wie auch unseren Sehnsüchten Gestalt geben.“(FG 221
! Zwei der Frauen am rechten Rand tragen Masken. Siegmund Freud, der Künstlern eine ausgeprägte Fähigkeit zur Sublimierung von Triebbedürfnissen und deren Abkömmlingen, den Gefühlen zuschreibt, würde ihm vermutlich zustimmen und sein Bordell einer Analyse unterziehen.
Was entdeckt Picasso? Unbekanntes in der Welt, in sich, beides? Wie Reinhold Messner, der wie auch Picasso eine radikal subjektzentrierte Entdeckerpraxis betreibt, geht es um ihn selbst als Person in Beziehung zum ihn umgebenden Kosmos.

Etwas in seiner Wahrnehmung der Außenwelt zieht seine Aufmerksamkeit auf sich, reizt ihn, beschäftigt in. Er verwandelt diesen Auslöser im künstlerischen Prozess, überlässt sich seiner Intuition, seinem Unbewussten.

Entdecker entdecken immer etwas für jemanden. In der Regel für sich selbst und bei Picasso wie auch bei Messner hat die Entdeckung nicht nur einen individuellen, sondern auch einen kulturellen Sinn. Bei Picasso wohl das neu Wahrnehmen der bekannten Welt, er bringt die Betrachter seiner Kunstwerke dazu, ihre ihnen bekannte Welt aus einer anderen, einer verfremdenden Perspektive zu sehen, sie neu zu betrachten, neu zu entdecken, wie er es zuvor auch getan hat.
Der subjektive Sinn seiner Entdeckungspraxis besteht für Picasso ein zweierlei, einmal darin seine Eindrücke der Welt verarbeiten, seinen Resonanzen Gestalt geben zu können und die Eindrücke damit ungefährlich zu machen, ein individueller psychologischer Prozess. Der kulturelle Sinn seiner Arbeit ist es, den Menschen die Produkte dieses individuellen Verarbeitungsprozesses zur Verfügung zu stellen, um es ihnen zu ermöglichen sich mit diesen Ängsten und Sehnsüchten auseinanderzusetzen und ihre Eindrücke der Welt anders verarbeiten zu können.

Folgt man Picasso, so ist die Funktion der Entdeckung, sofern deren Produkt ein Kunstwerk ist, psychologisch gesehen Angstbindung. Eine Begebenheit aus der Zeit mit Matisse, der ihm seine lebensgroße, barbarisch wirkende Figur aus Neuginea schenken will: „Übrigens, das Ding aus Neuginea macht mir Angst. Ich glaube Matisse auch, und deshalb will er es unbedingt loswerden. Er glaubt wohl, ich könne Dämonen besser austreiben als er.“ (FG 221)
Vermutlich hat Picasso recht, betrachtet man die vergleichsweise gefälligen Bilder von Matisse und die zugleich verstörend und anziehend wirkenden Bilder von Picasso, ist er jemand, der sich der Angst aussetzen und sie binden kann.

Neues Erfinden

„Wir dürfen keine Scheu davor haben, etwas zu erfinden, was es auch sei«, erklärte er mir eines Tages, als wir über Skulpturen sprachen. »Alles, was in uns existiert, ist Natur. Schließlich sind wir ein Teil der Natur.“ (FG 271)

„Was ist Plastik? Was ist Malerei? Immer klammert man sich an altmodische Ideen, an überlebte Definitionen, als ob es nicht gerade die Aufgabe des Künstlers wäre, neue zu finden.“ (ÜK 71)

Wie alle Entdecker überschreitet er die Grenzen seiner Disziplin oder Profession, was typisch für Entdecker ist.

Andere Künste als die Malerei werden ausprobiert und er unterscheidet nicht zwischen Kunst und Handwerk, eine Trennung, die sich ja erst zu Beginn der Neuzeit vollzog, als sich die Wissenschaft von der Kunst trennte, die einen also handelten und produzierten und die anderen beobachteten und beschrieben. Picasso ist in den Handwerken einen Außenstehender, der in der Lage ist die Handwerker aufmerksam zu beobachten, selbst handwerklich tätig zu werden und seine Ideen als Künstler mithilfe der Materialien und Techniken dieses Handwerks auszudrücken.

Wieso gelingt ihm dieses beständige Überschreiten des zur bildenden Kunst gehörenden Kanons und damit die Erweiterung seiner Werkgruppen? Er ist nicht in jahrelangen Ausbildungen in die Programme der Professionen Malerei so einsozialisiert worden, dass er sie bewahren und optimieren muss, er kann innovativ sein.

Picasso interessiert überdies die Unterscheidung zwischen Kunsthandwerk und Kunst nicht, er lernt das Handwerk, verändert häufig die Technik und produziert Kunstwerke. Einige Beispiele, zunächst die Anwendung eines recht unkonventionellen Werkzeugs:

Picasso hat die ganze Nacht damit zugebracht aus einem Besenstil ein königliches Zepter für Pyrrhus, dessen Drama sein Freund Jean-Marais inszeniert, zu schaffen. Er hat nach langen Versuchen mit anderen Techniken mit einem elektrischen Kocher Spiralen auf den Stil gezaubert. Brassaï nimmt den Stock in die Hand: „Picasso hat lange Spiralen im geometrischen Stil irgendeiner von ihm erfundenen archaischen Kunst hinein gebrannt. Seine nie versagende Gabe, jegliches Material, das ihm in die Hände kommt, zu beleben, ist bewundernswert. Er errät, erfindet, entdeckt die brauchbarste Methode, als stünden ihm von jeher die Hilfsmittel, Geheimnisse und Kunstgriffe, die in Jahrtausenden gewonnenen Erfahrungen aller grafischen und plastischen Techniken jederzeit zur Verfügung.“ (B 99)

Brassäi bemerkt im Park zwei sehr große schmiedeeiserne Figuren. „Sie stammen beide aus dem vergangenen Jahr. Wie immer neugierig auf alle Kunst- und Handfertigkeiten, die ihm fremd sind, und begierig, auszuprobieren, was er mit eigenen Händen daraus machen könnte, hatte Picasso aufmerksam seinem Freund, dem geschickten Kunstschmied Julio González, beim Hämmern und Biegen des glühenden Metalls zugesehen und ihn gebeten ihm die Anfänge seiner Kunst beizubringen. Der Lehrling hatte den Meister schnell überflügelt; aber ihre kurze Zusammenarbeit bereicherte auch González: nachdem er von seinem genialen Schüler kühne neue Formen gelernt hatte, bekehrte er sich zum Kubismus.“ (B 20-21)

Er erfindet neue Techniken, sobald er von den Meistern eines Fachs genug gelernt hat und revolutioniert so Lithographie, Keramik, Skulpturen, Glasbildern und Linolschnitt.
Sein Galerist Kahnweiler sagt über seine Linolschnitte: „Sind sie nicht herrlich? Picasso hat auch auf diesem Gebiet Neues geschaffen. Vor fünf Jahren hat er damit angefangen, dass er ein Frauenporträt von Cranach in Linol schnitt. Dann ist auf die Idee gekommen, statt für jede Farbe eine neue Platte zu schneiden, die erste immer wieder zu bearbeiten. Auf der Suche nach dem ihm gemäßen Ausdrucksmittel erneuert und verbessert er jede Technik.“ (GB 187)

Er wendet sich anderen Werkgattungen und Kunsthandwerken zu, wenn die alten ihn zu langweilen beginnen: “Nach der Rückkehr aus Polen ging Pablo wieder an seine Arbeit in den Töpferei Ramié, doch er war jetzt nicht mehr glücklich damit. Er hatte genug von der Keramik. Auf dem Gebiet der Lithographie hatte er außerordentliche Leistungen vollbracht, das gesamte lithographische Verfahren erneuert und technische Möglichkeiten entdeckt, auf die niemand vor ihm gekommen war. Das Resultat waren Arbeiten von einzigartigem Rang.“ (FG 184)


Skulpturen entstehen nicht wie damals üblich aus Marmor, anderem Stein oder Holz, sondern aus Alltagsgegenständen, die er auf der Straße, am Strand oder auf Schuttplätzen findet. Die berühmt gewordene Skulptur eines Stieres macht er aus der Lenkstange und dem Sitz eines Fahrrads. (FG 269) Picasso dazu: „Meine Skulpturen sind plastische Metaphern….Ich mache die Realität sichtbar, weil ich die Metapher gebrauche“ (FG 270)
Er hat seine arg gebeutelten Hostentaschen immer voll „.. mit so einfachen und seltenen, banalen und zauberhaften Dingen, wie es ein Stein, eine Muschel, ein Stück Holz oder Kork, eine Wurzel oder ein Stück Glas vom Strand des Meeres für jemanden sein können, der darin schon das latente Bild einer Taube, eines oder eines Schafskopf zu sehen vermag.“ sagt Brassaï. (B 72)

1945 gestaltet er einen Theatervorhang für eine Ballettaufführung, die Figuren der Blauen Periode, die Artisten und Gaukler werden getanzt. Brassai produziert das Bühnenbild auf der Basis seiner Fotographien, eine Innovation. (B 131, 133). Das Publikum applaudiert und buht. Picasso findet das harmlos verglichen mit dem Skandal, den das kubistische Ballett ‚Parade‘ in den zwanziger Jahren ausgelöst hat, zu dem er ebenfalls den Bühnenvorhang beigetragen hat. (B 132)

Beispiele seiner Wortkunst und Dichtung finden sich in dem Buch Wort und Bekenntnisse, ebenso ein Theaterstück. Die Farce: ‚‚Wie man Wünsche am Schwanz packt‘, wird von Freunden aus der Kunst- und Intellektuellenszene inszeniert und aufgeführt. Camus inszeniert, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir spielen Rollen. (GB 112) Und er inszeniert eine Persiflage auf Kunstmaler, schlüpft in die Rolle und malt an einem kitschigen Bild. Für ihn ist das ein Riesenspaß. (B 94)

Er interessiert sich für die Graffiti, die Brassaï für seinen Band ‚Die Sprache der Wand‘ in Paris photographiert hat: „Es ist wirklich unglaublich, was man da manchmal an Erfindungsgabe entdecken kann! Wenn Kinder draußen auf der Straße oder an den Wänden zeichnen, bleibe ich immer stehen. Was unter ihren Händen entsteht, ist erstaunlich, ich lerne oft etwas dabei“ (B 148)
Picassos ist begeistert davon und berichtet, dass er Sgraffiti gemacht hat: “allerdings werden sie statt in die Wand in Zement geschnitten. Ein norwegischer Künstler hat das erfunden, meine Sgraffiti werden vergrößert und mithilfe von elektrischen Meisseln übertragen, sie sind für ein Gebäude in Barcelona bestimmt.“ (B 175) Auch hier interessiert er sich wieder für eine neue Technik.

Durch Brassaï lernt er Fotographie als Kunstform kennen. “Wenn man sieht, was Sie mit Fotos ausdrücken können, wird einem klar, was alles nicht mehr Aufgabe der Malerei sein kann. Warum sollte sich ein Künstler darauf versteifen, etwas darzustellen, was mithilfe des Objektivs so gut festgehalten werden kann? Das wäre doch Unsinn! Die Fotografie ist gerade im rechten Augenblick gekommen, um die Malerei von aller Literatur, von der Anekdote oder sogar vom Gegenstand zu befreien.“ (GB 41f) Er bedauert, dass er kein Fotograf geworden ist, um mit einem “Objektiv die intimsten Regungen des Gesichtes einzufangen, die ich noch in keinem meiner Porträts wiedergefunden habe.“ (B 92)


Da er so viele Techniken gelernt, mit unterschiedlichen Materialien und Medien gearbeitet hat, hat er die Freiheit, eine Idee, die ihm kommt, mit verschiedenen Medien und unterschiedlichen Techniken auszuführen. Es sagt, dass sich manchmal erst in einem längeren Prozesse entscheidet, wie er sie verwirklichen kann.

Neues Gründen und Begründen

„Mit einem Freund gründete er 1901 in Madrid die Zeitung „Arte Jovén“. Soler ist der literarische und Picasso der künstlerische Direktor. Picasso zeichnet, um die Seiten von Arte Jovén auszufüllen (…) und kann auch im Zeichnen nicht innehalten. In dem Bemühen, seine Revue zu beleben, besucht er Kneipen und Cafés, kommt in Kontakt mit Madrid, bringt unbekannte Leute ins Licht der Öffentlichkeit und lenkt die Aufmerksamkeit auf Ideen, denen keine andere Veröffentlichung Raum gewährt: Hierdurch schockierte er die Intellektuellen Madrids, die unfähig sind, an eine Zukunft voll kühner Erneuerung zu denken. (…) Arte Jovén gerät infolgedessen in finanzielle Schwierigkeiten. (…) Nach drei Monaten hat sich alles in Rauch aufgelöst.“ (JS 45f)

Er begründet durch die kubistische Malweise eine neue Stilrichtung in der Kunst. Am Begründen von Malerschulen hat er kein Interesse „Es zählen nur die Meister. Diejenigen, die erschaffen.“
Wird eine neue Idee wie der Kubismus zur Kunstrichtung, in der die Nachahmer „alles auf dem Würfel zurückführen“, woraus eine „verkünstelte Kunst hervorgegangen ist, ohne echte Beziehung zu der logischen Arbeit, die ich zu betätigen trachte.“ Die Nachahmer seiner Werke und Arbeitsweisen sind ihm „unerträglich“. (B 19)
Zum Kubismus: „eine Kunst, der es vor allem um die Form geht, und wenn eine Form einmal geschaffen ist, dann ist sie da und lebt ihr eigenes Leben weiter.“ (W&B 15)
Mit anderen Worten, man braucht sich dann nicht mehr darum zu kümmern und kann sich neuen Ideen zuwenden.

Ein Museum in seinem Heimatland Spanien zu gründen, kommt ihm nicht in den Sinn. Das beschließt und übernimmt sein Freund und Sekretär Jaime Sabartés für ihn. Die Planungen beginnen 1960 und 1963 wird das Museum Picasso in Barcelona im Aguilar-Palast eröffnet. Als Sabartés 1968 stirbt, vermacht Picasso dem Museum 58 Bilder der Serie ’Las Meninas‘ und 1970 schenkt er dem Museum seine Jugendwerke, die im Besitz seiner Familie sind.

2. Picassos Künstlerkarriere

„«Ohne ihn hätte ich niemals Karriere gemacht!» Tatsächlich hatte sich Kahnweiler, überwältigt von der Kühnheit der 'Demoiselles d’Avignon', entschlossen, von 1907 an Picassos gesamte Produktion zu kaufen, ausgenommen fünf Bilder im Jahr, die der Künstler für sich behalten durfte. Picasso war damals 27, Kahnweiler 23 Jahre alt. Seit 55 Jahren arbeiten sie zusammen.“ (B 186f)

Gemeint ist Daniel-Henry Kahnweiler, ein Deutscher in Paris -sein zweiter Galerist nach Ambroise Vollard - mit dem er sein Leben lang geschäftlich und freundschaftlich verbunden bleibt. Dieses Bild markiert den Übergang von Karrierephasen, die durch große Unsicherheiten, Karriereknicke im Sinne einer klassischen Malerkarriere, hin zu einer Phase, in der klar ist, dass er seiner Bestimmung Kunst zu machen, und zwar revolutionäre innovative, folgen kann und davon als selbstständiger und freier Künstler leben kann.

Am Ende seines Lebens sagte Picasso also, dass er Karriere gemacht habe. Was verstehen Entdecker darunter? Sie werden nicht die gleichen Kriterien wie z.B. erfolgreiche Unternehmer oder Manager anlegen. Die Essenz meiner Forschung ist: Sie haben dann eine erfolgreiche Karriere gemacht, wenn sie Entdeckungen gemacht haben, die gemessen an ihren eigenen Maßstäben innovativ und revolutionär sind. Die Karrieremaßstäbe Anderer interessieren sie nicht.

Wie sehen die ersten Phasen seiner Karriere aus, welche karrierehemmenden und -fördernden Einflüsse tauchen auf, wann und wodurch schafft er den Durchbruch?

Seine Karriere kann hier nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden. Ausgewählt werden die Ereignisse, die für seine Karriere als Entdecker relevant sind. Empfehlenswert ist der Wikipedia Artikel zu Picassos Leben
Picasso
Die Biographie auf der Website Pablo Ruiz Picasso Net
und die Biographie von Wilfried Wiegand, die bei Rowohlt erschienen ist.

Merkmale von Entdeckerkarrieren
Entdeckerkarrieren können keinen vorgegebenen Laufbahn folgen wie Karrieren von Menschen, die in Organisationen arbeiten, sondern ähneln den Karrieren von Selbstständigen, die aus dem Zusammen- und Gegeneinanderwirken der drei Dimensionen: Entwicklung der Persönlichkeit des Selbstständigen, seines Produkts oder seiner Dienstleistung und seiner Organisationsform emergieren.
Hier wird noch einmal zusammengefasst, durch welche Merkmale Entdeckerkarrieren geprägt sind:

  • Es gibt keine Laufbahn, keine Karrierepfade für Entdecker in bestehenden Organisationen
  • Es gibt keinen vorgegebenen professionellen Werdegang für Entdecker
  • Es gibt keine Normalbiographien von Entdeckern
  • Entdecken ist kein Beruf, sondern ihre Art zu leben
  • Entdeckerkarrieren weichen von den anderen drei Karrieretypen (angestellt, unternehmerisch, selbständig) dadurch ab, dass sie in extremem Maße von der Persönlichkeit des Entdeckers abhängig sind.
  • Das Individuum wird prämiert, auf ihm lastet neben der Arbeit an der Entdeckung sehr viel mehr, verglichen mit den Karrieren von Angestellten, Selbstständigen und Unternehmern

2.1. Die ersten Phasen seiner Karriere

Picasso wird 1881 in Malaga als Sohn eines Malers und Kunstlehrers und einer Mutter, unter deren italienische Vorfahren auch Künstler waren, geboren. Er fängt sehr früh an zu malen und zeigt ein überdurchschnittliches Talent dafür, das seine Eltern erkennen und fördern.

„Meine ersten Zeichnungen hätten niemals auf einer Ausstellung von Kinderzeichnungen gezeigt werden können. Mir fehlte die Ungeschicklichkeit des Kindes, seine Naivität. Mit sieben Jahren machte ich akademische Zeichnungen, deren minutiöse Genauigkeit mich erschreckte.“ (ÜK 113)

Sein Vater unterrichtet ihn, während die Schule für ihn eine Katastrophe ist, Rechnen und Schreiben interessiert ihn nicht, er malt im Unterricht und will dort nicht hingehen, sein Vater muss in jeden Tag dort abliefern.(JS 36) Im Alter von zehn Jahren wird er an der Schule für bildende Künste in La Coruña aufgenommen, wohin die Familie umgezogen ist. Eine bemerkenswerte Reaktion auf das überragende Talent seines Sohnes zeigt der Vater: „Schließlich gab Don José endgültig das Malen auf. Warum auch nicht? Pablo ist an seine Stelle getreten. «Da gab er mir seine Farben und seine Pinsel und hat nie mehr gemalt.»“ (JS 41)

Der dann folgende Umzug nach Barcelona ermöglicht es Picasso, auf der dortigen Kunstakademie mit 14 Jahren aufgenommen zu werden, er überspringt dabei zwei Klassen und sein Vater richtet ihm sein erstes Atelier ein, er malt seinen ersten großen Ölbilder, die mit Preisen bedacht werden. Der nächste Karriereschritt ist erwartungsgemäß das Studium der Künste, gewählt wird die Königlichen Akademie San Fernando in Madrid, die bedeutendste des Landes. Das Studium wird mit einem Stipendium seiner Familie ermöglicht und er besteht die Aufnahmeprüfung mit Leichtigkeit. Wie wir wissen, weigert er sich, sich dort von Lehrern in den klassischen Maltechniken und Sujets ausbilden zu lassen. Hier kommt es zu einem für seine Eltern nur schwer zu verkraftenden Karriereknick, er verlässt die Akademie nach einem Tag.

„Picasso besuchte zwar den Prado (um die Werke von El Greco, Velasquez u.a. zu studieren, KRG), zog es im übrigen aber vor, die Straßen der Hauptstadt zu durchstreifen und private Kontakte mit jungen Künstlern anzuknüpfen. Die Kurse der Akademie, deren Schüler er offiziell war, hat er kein einziges Mal besucht: “Warum sollte ich denn hingehen? Warum denn?“ (WW 16). Der Familienrat entzieht ihm die Unterstützung, der Vater fördert ihn weiter, so gut er kann. (JS 37f).

Dann erkrankt Picasso an Scharlach, kehrt zu seinen Eltern Barcelona zurück, und zieht um sich zu erholen weiter in das Haus seines Freundes Manuel Pallarés in Horta de Ebro, sie malen beide, arbeiten mit den Bauern und Picasso gesundet. Offenbar hatte diese folgenreiche Entscheidung seine Kräfte überfordert, ihn in einen inneren Konflikt gestürzt, er braucht eine Auszeit, eine Übergangsphase. Er führt dort ein einfaches Leben, arbeitet wie die dortigen Bauern und erlebt die einfache Schönheit und heilende Kraft der Natur. (JS 43).

Vermutlich geht es um die Entscheidung, die m.E. alle Entdecker zu treffen haben: Entscheide dich im „falschen Leben“ zu bleiben oder zu entdecken.

Mit dem Abbruch seines Studiums hatte er die Entscheidung getroffen, und wie immer ist es leichter, sich gegen etwas zu entscheiden, die Frage ist dann, wofür entscheidet man sich und wie soll es nun weitergehen? Sich Übergangsphasen zu schaffen und auszuhalten ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die nächsten Karriereentscheidungen, die getroffen werden müssen, die richtigen sind.

Wenn Sie mehr dazu lesen wollen, hier der Link zu meiner Untersuchung von Übergangsphasen in Karrieren.
Übergangsphasen

Maximen für Entdecker
Statt Zugehörigkeit zu suchen, bleibe lieber einsam oder such Dir einige wenige "Getreue"!
Lebe bescheiden, sei bedürfnislos. Lass dich nur von dem Bedürfnis zu entdecken leiten!

Picasso kehrt nach Barcelona zurück, mietet sich mit seinem Freund Casagemas ein Atelier, malt, wählt die damals verbreitete Lebensform eines Bohèmiens, lernt im Künstlercafé ‚Els Quatre Gats‘ junge katalanischen Künstler kennen, darunter seinen lebenslangen Freund, den Dichter Jaime Sabartés. Er hat dort mit seinen Bildern, in denen Linien zu dominieren beginne, keinen Erfolg, er hat noch keinen eigenen Stil und er hat kaum Geld, er lebt wirklich ärmlich.

Mit Casagemas reist der 19jährige 1900 für drei Monate nach Paris, die Stadt, in der zu dieser Zeit die Künstler der Moderne sind. Verglichen mit den Impressionisten und Postimpressionisten, mit van Gogh, Toulouse-Lautrec u.a. ist die Kunst in Spanien rückständig. Er malt, angeregt durch das was er sieht, verkauft ein paar Bilder und kehrt nach Barcelona zurück. Von seinen Malerfreunden dort hat er sich bereits entfremdet, er malt die ersten beiden Porträts seines Freundes Sabartés in einem ganz neuen Stil. 1901 begeht sein Freund Casagemas in Paris aus Liebeskummer Selbstmord. Ein unstetes Leben beginnt, er reist nach Paris, dann kommt ein Zwischenspiel in Madrid, wo er die Kunstzeitschrift Arte Joven begründet und scheitert.

1901 fährt er das zweite Mal nach Paris, vielleicht weil er begreift, dass er selbst in Madrid mit seinen innovativen Ideen nicht Fuß fassen wird. Er ändert seinen Namen von Pablo Ruiz erst in Pablo Picasso und wählt dann Picasso, den Mädchennamen seiner Mutter, womit er sich symbolisch von seinem Vater und dessen Malstil losgelöst hat. Seine erste große Ausstellung bei Ambroise Vollard, dem Galeristen, bei dem bedeutende Maler der Moderne ausstellen und von dem er 1910 ein großartiges Portrait in der Manier des analytischen Kubismus malt, wird ein Erfolg und er verkauft Bilder. Diese Bilder sind alle in Blautönen, sie zeigen arme Menschen, Einsamkeit und Alter in berührender Weise; den Tod seines Freundes Casagemas verarbeitet er 1901 in dem Bild "Evokation- Das Begräbnis Casagemas", dem ersten Bild der Blauen Periode und 1903 in dem Bild ‘Das Leben‘.
Link zum Bild La Vie Blaue Periode

Die später sogenannte „Blaue Periode“ begründet seinen Erfolg, es ist die erste der vielen noch folgenden, von ihm geschaffenen innovativen Stilrichtungen, die die kommenden Phasen seiner Karriere bis zu seinem Tode 1973 sequenzieren werden.

Schon hier zeigt sich, dass ein Stilwechsel mit dem Wechsel einer Lebensphase und der Trennung von einer für ihn vormals bedeutsamen Person verknüpft ist. Wir werden sehen, dass Casagemas der einzige Mann ist, der diese Funktion hat, in der Folge sind es immer Frauen.

Er wechselt in dieser Zeit noch zwischen Barcelona und Paris hin und her, aber der Erfolg stellt sich in Paris ein. 2004 geht endgültig nach Paris, die sogenannte Rosa Periode beginnt 1905 und wird 1907 von der nächsten, der kubistischen schon abgelöst.
Link zum Bild Picasso vor seinem Gemälde Der Aficionado 1912, Kunstmuseum Basel

Jetzt ist er ein bekannter Künstler, gehört zur Pariser Bohème, hat Förderer wie den Kunstkritiker Wilhelm Uhde, die Dichterin und reiche Kunstsammlerin Gertrude Stein, hat Ausstellungen, einen von ihm begeisterten und genialen Galeristen, Kahnweiler, verkauft Bilder, kann davon leben, die Zeit der Armut und des Hungers ist vorbei. Spätestens mit den Desmoiselles d’Avignon hat er den Status eines bedeutenden, die Malerei innovierenden und prägenden Revolutionärs und Ausnahmetalents erreicht und wird weltweit bekannt. Mit 26 Jahren hat er es geschafft, er ist bekannt, hat sich die Freiheit erkämpft zu malen was ihm gefällt und lebt ein Leben als wohlhabender freier Künstler.
Link zum Bild Desmoiselles d’AvignonLes Demoiselles d’Avignon

Selbstbildnis aus dem Jahr 1906, als er die Desmoiselles gemalt hat.

2.2. Was ist für ihn Erfolg?

Brassaï sagt: „Sie haben Erfolg gehabt, mit 25 Jahren waren sie berühmt. Und Picasso antwortet: “Erfolg ist etwas sehr Wichtiges! Man hat oft gesagt, dass der Künstler für sich selbst, sozusagen aus ‚Liebe zur Kunst‘ arbeiten und den Erfolg verachten soll. Das ist falsch!
Ein Künstler braucht Erfolg. Und nicht nur, um davon zu leben, sondern vor allem, um sein Werk schaffen zu können. (…) Aber wo steht geschrieben, dass der Erfolg immer nur den gehören soll, die dem Publikum schmeicheln? Ich habe beweisen wollen, dass man allen und allem zum Trotz Erfolg haben kann, ohne Kompromisse zu machen. Wissen Sie was? Mein Erfolg als junger Maler ist mein Schutzwall gewesen. Die blaue und die rosa Periode waren die Paravents, hinter denen ich sicher war (…) Im Schutze meines Erfolges habe ich tun können, was ich wollte. (B 102)

Und was wollte er tun? Freie Kunst, keine Auftragsarbeiten. Erfolg tritt in den Dienst des freien Arbeitens als Künstler, verschafft ihm Zeit und Ruhe um an den nächsten Werken oder vielleicht sogar an einem Stilwechsel zu arbeiten.

1939 droht der Ausbruch des Krieges „Aber am 15. November eben diesen Jahres sollte die größte Gesamtausstellung von Picassos Werken, eine Art Apotheose, im Museum auf Modern Art in New York eröffnet werden unter dem Motto: Forty years of his art.“, während er in Paris unter der deutschen Besetzung ein Veröffentlichungsverbot hat. Diese Ausstellung in Amerika führt dazu, dass er nach Kriegsende von hunderten begeisterter Amerikaner besucht wird, die ihn persönlich kennenlernen wollen, daneben, dass natürlich der Verkauf seiner Bilder in Amerika enorm ansteigt.

Sie werden der erste lebende Maler sein, der sein Werk im Louvre hängen sieht!
Das sagt 1946 der Direktor der Staatlichen Museen von Paris, George Salles. Picasso war von ihm gebeten worden, dem Musée d‘Art Moderne Bilder zu schenken, da kein einziges von ihm in Pariser Museen hängt und er nun schon mehrere Jahrzehnte in Paris lebt. Picasso entschließt sich nach längerem Überlegen dem Museum zehn Bilder zu schenken. Salles lässt sie aber in den Louvre bringen und lädt Picasso zu einem „amüsanten Experiment“ ein. “Er wollte Pablos Bilder in verschiedene Abteilungen des Museums schaffen lassen, um zu sehen, wie sie neben Hauptwerken anderer Kunstepochen wirkten.“ Picassos ist begeistert von der Idee und stimmt zu. (FG 171f)

Es gibt zahlreiche Ausstellungen überall auf der Welt, er erhält zahlreiche Preise, kann seine Bilder gut verkaufen und sich bis zum Lebensende Rahmenbedingungen schaffen, um weiter freie Kunst machen zu können. Einige seiner Bilder wie Guernica und die Friedentaube, werden außerhalb der Kunstszene bekannt und gehören zum Kulturgut der Menschheit.
Er wird zum "Genie des Jahrhunderts" erklärt.
Auf dem Cover ist das Bild seiner Geliebten Dora Maar von 1937

2.3. Freie Kunst und Aufträge

Aus den Maximen für Entdecker:
Übernimm keine Aufträge mit Werksvertragscharakter (darin sind die Ziele vorgegeben), höchstens als Mittel zum Zweck, die eigene Entdeckungsarbeit zu finanzieren. So wie freie Künstler Auftragsarbeiten machen um ihre freie Kunst zu finanzieren!
Lass Dir keine Aufträge von anderen geben, was Du entdecken sollst! Gib sie Dir selbst!

Picasso vertraut auf die eigene Kraft und steht die ersten Jahre, in denen er von seiner Kunst nicht leben kann, mithilfe seiner Familie und seiner Bedürfnislosigkeit durch, bis er Erfolg hat. Er entscheidet sich trotz seiner finanziellen Not von Anfang an gegen Auftragsarbeiten.

“Im Schutze meines Erfolges habe ich tun können, was ich wollte“. (B 102) Und was wollte er tun? Freie Kunst, keine Auftragsarbeiten und selbst sein eigener Auftraggeber sein

Er macht Auftragskunst am Beispiel eines Christusbildes mit Dornenkrone mit von El Greco lächerlich: Für jede bestellte Träne mehr habe er wohl soundso viel Peseten genommen. „Man muss ja leben.“ (B 110f)

Auch einen „Nebenberuf“, mit dem man sein freies Arbeiten finanziert, sei eine Täuschung, sagt er zu Brassaï, seinem Fotographen und Freund. “ Ich war oft pleite, und doch habe ich immer jeder Versuchung widerstanden, von etwas anderem als von meiner Malerei zu leben. Ich hätte auch für satirische Zeitschriften zeichnen können (…) Aber ich wollte mein Leben durch meine Malerei verdienen. Anfangs habe ich nicht teuer verkauft, aber ich habe verkauft. Meine Zeichnung, meine Bilder kamen unter die Leute. Das ist der springende Punkt.“ (B 102)
Sein Erfolg habe sich eingestellt, weil er sich immer darum gekümmert habe Bilder zu verkaufen, selbst wenn sie zu günstig waren, um in den Markt zu kommen.

Auf die Freiheit muss man sehr achtgeben. In der Malerei wie auch sonst. Was du auch unternimmst, du findest dich mit Ketten beladen.“ (ÜK 37)
„Wenn es in dem, was man tut, eine Freiheit gibt, dann die, etwas in sich selbst freizusetzen. Und selbst das ist nicht von Dauer.“ (ÜK 38)

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Picasso neben dem Entdeckeranker den Karriereanker Selbstständigkeit und Unabhängigkeit hat. Dieser Anker ist äußerst funktional für seine Entscheidung ausschließlich freie Kunst zu machen und sich die Art seiner Selbstständigkeit zu organisieren.

Einige Beispiele, wie er mit Aufträgen und Auftraggebern umgeht:
Ein Ballettdirektor gibt Picasso den Auftrag für einen Vorhang und Braissaï den für die Dekorationen, um die nächste Aufführung seiner Balletttruppe zu gestalten. Brassaï erinnert sich: „Vor einigen Tagen habe ich ihn bei Picasso wieder getroffen, als er den Meister an den versprochenen Vorhang für unser Ballett erinnern wollte. Natürlich hatte Picasso noch nicht einmal damit angefangen.Im Grunde haßt er jeden 'Auftrag', er fühlt sich nur wohl, wenn er ganz zwanglos arbeiten kann. Bei Büchern hilft er sich, indem er aus seinem überreichen Werkgrafiken oder Lithographien aussuchen lässt, die am besten zum Text passen. (...) Boris konnte an den Vorhang für ’Le Rendez-vous‘ erinnern, so viel er wollte, Picasso hatte es beim Plan bewenden lassen. „Hören Sie, Boris, ich habe eine Idee“, hat er gesagt.“ Sie haben es so eilig mit ihrem Vorhang, suchen Sie sich doch unter meinen letzten Gouachen diejenige aus, die ihren Vorstellungen am besten entspricht! Es gibt welche mit Leuchten, mit Totenköpfen, mit Spiegeln. Das gibt doch den Schicksalsgedanken gut wieder. Und es wird ein leichtes sein, die Gouache zu vergrößern, die ihnen am besten gefällt.“ Boris hat sich schließlich für ein Blatt mit einer Samtmaske und einer brennenden Kerze entschieden: der Vorhang war gefunden an.“(B 127)

So etwas passiert wie in den Biographien beschrieben wird öfter. Einmal sogar mit einer Auftragsarbeit der Kommunistischen Zeitung, er ist zu dieser Zeit Mitglied der KP, die von ihm ein Bild von Stalin haben will. Er duldet keine Vorgaben und es fällt überhaupt nicht zur Zufriedenheit der Zeitungsmacher aus, viel zu modern und respektlos wirke es, es Streit gibt.


Picasso bekommt den Auftrag vom Pariser Stadtrat, ein Denkmal für seinen Freund den Dichter Guillaume Apollinaire zu schaffen. „Er war für den Plan, aber er bestand auf völliger Freiheit. Einige der Komiteemitglieder waren damit einverstanden, andere waren nicht besonders glücklich darüber, Picasso überhaupt zu gewinnen – noch weniger ihm carte blanche zu geben. Pablo war unerbittlich «entweder mache ich es wie ich es will, oder ihr sucht euch jemanden anders.»“ (FG 271)
„Die Angelegenheit zog sich monatelang hin, und als es schließlich dem Komitee gelungen war, den Stadtrat zu einem schwachen, wenig begeisterten Ja zu bewegen, war Pablo selbst so wenig Enthusiasmus verblieben, dass er ihnen einfach eine Skulptur gab, die im Atelier herumstand, ein Bronzekopf von Dora Maar, den er 1941 gemacht hatte.“ (FG 27)

Kahnweiler sagt in einem Gespräch mit Brassai darüber, ob Picasso mehr Aufträge hätte bekommen können:“ Bei Picasso ist das etwas anderes. Er mag Aufträge nicht gern. Er hat 'Guernica' und 'Der Krieg und der Frieden' spontan geschaffen. Und den Auftrag für das große Wandbild im UNESCO- Gebäude hat er nur zögernd, eigentlich nur George Salles (Direktor der Pariser Museen) zuliebe, angenommen und man hat ihm seine Mühe schlecht vergolten.“ (B 193) Das Wandbild 'Der Sturz des Ikarus' konnte nicht im Ganzen betrachtet werden, es war halb verdeckt und es lief ein Steg quer davor lang, der für die Elektriker gedacht war.

Sabartés hat die gleiche Einschätzung: „Er liebt es nicht, sich durch die Anforderungen eines Auftrags Beschränkungen aufzuerlegen. Es ist schon bekannt, dass ihm ein Portrait auf Bestellung ebenso wie das Illustrieren eines Textes keine Freude macht. Wenn überhaupt Bücher mit seinen Kupferstichen erscheinen, so erklärt sich das daraus, dass sich in seiner so reichhaltigen Produktion immer etwas Geeignetes findet, falls man nicht zu anspruchsvoll ist.“ (JS 146)

Für seinen Freund, der ihm über Jahre gedient und ihm die Freundschaft gehalten hat macht er eine Ausnahme. Picasso hat Sabartés in verschiedenen Stilepochen immer wieder aus eigenem Antrieb gemalt und jetzt bittet der ihn das erste Mal um ein Portrait. „Es wäre mir lieb, wenn man mich, wie die Edelleute im 16. Jahrhundert, mit einer Erdbeere porträtierte, und auch mit einem Federhut als Kopfbedeckung. Ich werde dich so malen, versicherte er mir nachlässig.“ (JS 158) Und er malt ihn genauso wie gewünscht als Ritter mit Federbusch und Erdbeere. Sabartés meint, dass die engen Vorgaben vermutlich einigen Widerstand hervorgerufen haben, er aber doch die Idee des Freundes verwirklicht hat. (JS 163)

2.4. Der Preis des Erfolgs

Schon 1936 beklagt er den Ansturm von Leuten, die ihn in seiner Wohnung „unter verschiedenen Vorwänden“ sprechen möchten. "Ein hartnäckiger Kamp" sei das, Sabartés versucht im Vorzimmer die Leute abzuweisen und nur Freunden gelingt es, Picasso zu sehen. Er beklagt sich bei Sabartés auch über die vielen Ausstellungen seiner Bilder, die er besuchen soll: “Was habe ich denn mit alldem zu schaffen? Wenn sie einen mit ihren Ausstellungen langweilen, sollen sie doch selber ihre Bilder malen. Nicht wahr? Was ich zu tun habe, macht mir schon genug Mühe. Warum kann man mich nicht in Ruhe lassen?“ (JS 139) Dass ihn seine gemalten Bilder weniger interessieren als die, die er noch malen will, und er auch jede Form des Theoretisierens über seine Werke ablehnt, erklärt sein Desinteresse an Ausstellungen.

Nach Ende des Krieges 1945, er ist weltweit berühmt, setzt wie er sagt erneut ein „Sturm auf sein Atelier“ ein. Neben seinem Ruhm als Künstler durch die Bilder von Guernica, der Friedenstaube und die, die nur Kunstbegeisterte kennen; wird er dafür bewundert, dass er unter der deutschen Besatzung in Paris geblieben, dort gearbeitet hat und nicht geflohen ist.
„Ja wir hatten hier eine Invasion. Paris ist befreit worden, aber ich wurde und werde immer noch belagert. Jeden Tag kommen Besucher in Mengen; gestern waren unzählige hier. Die Leute glauben ich hätte nichts anderes zu tun, als sie zu empfangen.“ (B 113f).
Aber sie halten ihn von der Arbeit ab. Sabartés tut als ‚Pförtner und Wachhund‘ sein Bestes, um ihn abzuschirmen, aber es gelingt kaum.
„Im Augenblick kann ich nicht gut arbeiten. Zu viele Besucher, zu viel Zusammenkünfte, Delegationen und Empfänge.“

Ruhm, Ehrungen, Besuche von Bewunderern stören ihn genauso wie andere Entdecker, da sie ihn von seiner Arbeit abhalten. Man könnte meinen, dass diese Anerkennung für Freude sorgt, das ist aber meist nicht der Fall, auch nicht bei Marie Curie, die darunter extrem leidet.

Nach vielen Jahren besucht Brassaï 1960 ihn in seinem neuen Haus in Mougins und findet eine Festung vor. „Ich will keine neuen Gesichter mehr sehen. Wozu auch? Aber für meine Freunde bin ich immer da. Und Ihre Besuche sind mir umso willkommener, als ich hier abgeschlossen, man könnte fast sagen: eingesperrt, lebe. Meine Berühmtheit möchte ich niemandem wünschen, nicht einmal in meinem schlimmsten Feind! Sie macht mich physisch krank. Ich schütze mich, so gut ich kann, verbarrikadiere mich Tag und Nacht hinter verriegelten Türen.“ Brassaï fragt nach seinem anderen Haus. “Da ist es noch schlimmer. Die Neugierigen kommen überall hin. Sie verfolgen mich mit Ferngläsern, belauern mich auf Schritt und Tritt. Es ist unerträglich.“ (B 171) Die Tochter von Matisse sagt „Sein Ruhm erdrückt ihn.“ (GB 181)

Diesen Preis zahlt auch seine Familie. Sein Sohn Paolo wie auch die Enkelkinder müssen sich vorher anmelden, sie überwinden trotzdem nur manchmal die Sprechanlage, das Tor, Picassos neue Frau Jacqueline, die ihn vollständig abschirmt und die freilaufenden Hunde, vor denen sich die Kinder ängstigen. Marina Picasso beschreibt, dass sie oft nicht bis zum ‚Meister‘, wie ihn, der eigentlich ihr Großvater ist, seine Frau bezeichnet, vorgedrungen sind. Sie erleben sich als eine unwillkommene Last. (MP 39 und 127).

Ruhm und Ehrungen durch Institutionen

Wie aus seinem Lebenslauf schon ersichtlich ist, hat er ein schwieriges Verhältnis zu Institutionen und Organisationen. Man könnte ihn einen Schulverweigerer nennen, die Zugehörigkeit zur königlichen Akademie der Künste quittiert er nach einem Tag, lediglich über die beiden Kunstschulen in La Coruna und Barcelona wird nichts Negatives berichtet, vermutlich konnte er dort so arbeiten, wie er es wollte. Danach tritt er nie wieder in eine Organisation ein, sondern arbeitet selbstständig als freier Künstler in Kooperationsbeziehungen zu Kollegen und zu Galeristen. Er lässt sich nichts sagen und kann sich nicht ein- oder gar unterordnen und auch kein Lob von Menschen annehmen, die ihm nicht gewachsen sind.

Sein Ruhm bringt es mit sich, dass ihm Ehrungen durch Institutionen zuteilwerden, in Form von Preisen, von angetragenen Mitgliedschaften, auch damit hadert er, wie übrigens auch Nicola Tesla, der sie alle in eine Kiste stopfte und Marie Curie, die Ehrungen als schwer erträgliche Veranstaltungen empfand, die sie nur von der Arbeit abhalten.
„«Meine Ernennung um Akademiemitglied Jawohl! Die Königliche Schwedische Akademie hat mich zum Mitglied ernannt». Sein schrilles Lachen tönt uns noch in den Ohren.“ (JS 49)

Verliehene Titel sind ihm zwar eine Last, aber er nutzt sie auch nach Gutdünken: Als ihm jemand ein Bild von El Greco, das Picasso für eines von dessen schlechtesten hält, verkaufen will, es in höchsten Tönen anpreist und behauptet: „Es ist einer der schönsten El Grecos aus, meine Herren, das sage nicht ich, das sagt der Direktor des Prado“, unterbricht er sie unwirsch. “ Pardon, Madame! Der Direktor des Prado bin ich! Da habe ich ein Wort mitzureden! Aber ja, ich bin von der Regierung, von der republikanischen Regierung dazu ernannt worden. Und ich bin es noch, man hat mich nie abgesetzt. Einen Haufen von Berichten habe ich lesen müssen, man hat mich mit Briefen überschwemmt. (…weitere Klagen, KRG) Dabei habe ich von meinen – sowieso mageren – ‚Bezügen‘ nie auch nur eine Pesete gesehen. Im Grunde war ich der Direktor eines Geistermuseums, eines leeren Prado, denn die Schätze waren alle (wegen den Krieges, KRG) nach Valencia gebracht worden. (…) Wenn Sie die Meinung des Direktors des Prado hören wollen, will ich sie Ihnen sagen.“
Und dann folgt die schon zitierte abfällige Äußerung über El Greco, es sei eine Auftragsarbeit für eine Kirche oder ein Kloster und auch eines seiner schlechtesten Bilder. (B 110f)
Der Hintergrund ist, dass Picasso 1936 im spanischen Bürgerkrieg Partei gegen Franco ergriffen hat und er von den Republikanern als Dank zum Direktor des Prado ernannt wurde. Natürlich hat Franco nach seinem Sieg einen anderen zum Direktor des Prado ernannt, was Picasso ignoriert, da er Francos Herrschaft niemals akzeptiert hat und zu.

1967 lehnt er die Aufnahme in die Ehrenlegion Frankreichs ab.(IW 95) Das ist die ranghöchste Auszeichnung, die der französische Staat zu vergeben hat, zunächst nur für Militärs, später für Künstler, Wissenschaftler und Politiker.
Wie er mit den beiden ihm verliehenen Lenin-Friedenspreisen umgeht, habe ich nicht recherchieren können. Mit der Kommunistischen Partei Frankreichs liegt er u.a. wegen eines Porträts von Stalins im Clinch.

3. Picasso ein Spanier im Exil - Gemeinsam mit Karl Giesecke

Um Picasso zu verstehen, kann man seine einmalige Persönlichkeit und deren biografische Gewordenheit analysieren, man kann ihn als Vertreter des Typus Bildende Künstler wie auch des Typus Entdecker beschreiben, aber auch als Angehörigen einer Kultur und Nation, als Spanier und als Mensch, der in einer Epoche und der sie prägenden Kultur gelebt hat. Er ist in einer patriarchalen und verglichen mit Frankreich rückständigen Kultur aufgewachsen. Manches für mich auffällige Verhalten, wie sein Streiten und Recht haben wollen, die ich seiner Persönlichkeit zugeschrieben habe, scheint neben einer indivuellen Ausprägung auch ein Ausdruck seiner Identität und Sozialisierung als Spanier zu sein.

Spanier sind nach Ansicht des Soziologen Karl Giesecke, der länger dort gelebt hat, Menschen mit einem ausgeprägten Stolz, wie die alte Zuschreibung des „stolzen Spaniers“, die heute vermutlich als Vorurteil und Diskriminierung bewertet wird, sagt. Dieser Stolz führt nach seiner Beobachtung zu einer Unfähigkeit Kompromisse zu schließen. Das zeigt sich seiner empirischen Erfahrung nach darin, dass widerstreitende Meinungen in Form von unnachgiebigen Kämpfen ausgetragen werden, wo es um Recht behalten geht, darum Entgegenkommen zu vermeiden, also um Sieg oder Niederlage. Dafür gäbe es neben seinen Erfahrungen in privaten und institutionellen Kontexten auch in der spanischen Politik genügend Beispiele.

Zermürbende Kämpfe

Einige Beispiel dafür bei Picasso: Es gab sehr oft zermürbende nächtliche Streitereien, berichtet seine damalige Frau Françoise Gilot, sie wurden von ihm so lange fortgesetzt, bis sie zugab im Unrecht zu sein, was meist nicht der Fall war. Brassaï, der Fotograph seiner Werke, der Picasso schon länger kennt, hatte bei Beginn ihrer Beziehung prognostiziert, dass es wie mit allen Frauen ablaufen werde: „Und ich denke mit Sorge an die unvermeidlichen zermürbenden Kämpfe, die es geben wird, die es schon gibt.“(Br. 81).

Er konnte nicht nachgeben, selbst wenn es offensichtlich war, dass er sich irrte, nie Fehler eingestehen und sich nicht einigen, er focht stundenlang auch bei unbedeutenden Anlässen darum recht zu behalten. Das tat er nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit Freunden wie Sabartés und in auch in geschäftlichen Beziehungen. Er weigerte sich versprochene Kunstwerke zu liefern oder andere einmal getätigte Zusagen einzuhalten, stritt sich, vielleicht weil sein Stolz es ihm verbot, sich Bedingungen zu unterwerfen, die andere stellten, selbst wenn er sie zuvor mit ihnen ausgehandelt und ihnen zugestimmt hatte.

Gefühlsausbrüche

Für ihn gab es nur Sieger und Besiegte, Schuldige und Unschuldige, ihn der im Recht war und andere, die im Unrecht waren, Abhängige und Unabhängige. Er macht anderen massive Vorwürfe, kann sie nicht in ihren Motiven verstehen, agiert ohne jede Empathie. Er wirft Françoise vor, vor dass sie ihm keine Szenen macht, dass sie zurückhaltend, kontrolliert und kalt sei: „Ich möchte einmal erleben, dass du aus dir herausgehst, dich gehen lässt, lachst weinst,– mein Spiel spielst.“ Er schüttelt den Kopf vor Abscheu. „Ich werde euch Nordländer nie verstehen!“ „Ich konnte sein Spiel nicht mitspielen“ sagte die Französin (FG 286)

„Diese Sicht auf den Norden spiegelt sich auch in dem eher negativ konnotierten Vorurteil gegenüber den Deutschen als „Quadratköpfe“ wieder. Dies meint die kalte Berechnung und die gradlinige Zielverfolgung, die sich eben nicht durch spontane Emotionen aus der Ruhe bringen oder irritieren lässt. Darin steckt zum einen das Misstrauen, dass die Nordländer ihre Gefühle unterdrücken und damit auf eine Art nicht „ehrlich“ sind, sondern verstellt. Die Impulkskontrolle ist aus dieser Perspektive Verstellung und letztlich Unehrlichkeit. Zum anderen macht diese Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Gefühlsregungen sie geradezu unheimlich. Die Nordländer zeigen sich nicht, man weiß nie was in ihnen los ist. Sich derart zu verstecken ist ungehörig. Das spanische Ehrgefühl ist verbunden mit emotionaler Ehrlichkeit.
Während unter Spaniern Gefühlsausbrüche geehrt und gefeiert werden, gelten sie hierzulande als Zeichen der Unreife, des sich nicht im Griff Habens. Genau dieser Griff wird abgelehnt. Dieses Feiern des emotionalen Öffnens lässt sich auch ganz deutlich in zum nationalen Kulturgut gewordenen Flamencopraktiken finden. Der Ausdruck von Schmerz durch Ausdruck der Tänzerinnen und Klang und Inhalt von Gesang wird durch anfeuernde „Olé“-Rufe bestärkt und gefeiert. Es wäre geradezu paradox die Bejubelung auf den Inhalt der Darstellungen zu beziehen, bejubelt wird eine Praxis der Emotionsdarstellung und zwar zumeist als negativ konnotierter Emotionen wie Liebesschmerz, aber auch persönlicher Schicksale.“ (Karl Giesecke)

Ein Foto aus den frühen Jahren der Beziehung mit Françoise Gilot. Robert Capa fotografiert 1948: "Picasso mit Sonnenschirm und Gilot" (In der Reihenfolge!) und Picassos Sohn Paolo (auf dem Cover einer Neuauflage des Buchs im Diogenes Verlags wurde er wegretuschiert!) ist, das sie als Cover für Ihre Biographie "Mein Leben mit Picasso" wählt.

Die eigene Niederlage anerkennen

Allerdings zeigt sich in zwei Situationen, dass Picasso akzeptiert, wenn seine Frau 'gewonnen hat'. Er sieht sie als gleichwertige und ernst zu nehmende Gegnerin, als er ihr, nachdem sie sich von ihm getrennt hat, zugesteht: “Du wirst mich verlassen, aber du verdienst mit kriegerischen Ehren verabschiedet zu werden.“ (FG 308) Er bittet sie um den letzten Gefallen, den Stierkampf zu eröffnen, auf einem Pferd durch die Arena zu reiten und eine Proklamation zu verlesen. Den ersten Stierkampf, den Pablo in Valllauris organisiert hat und der zu seinen Ehren veranstaltet wurde. (FG 308) Er ist begeistert von ihr und bittet sie bei ihm zu bleiben, weil sie der einzige Mensch sei, der ihm Spaß mache und er werde vor Langeweile sterben, wenn sie geht.(FG 309).

Die zweite Situation ereignet sich ein paar Jahre nach der Trennung, nachdem sie nach Amerika gegangen ist und ihr Buch „Mein Leben mit Picasso“ veröffentlicht hat. Er soll getobt haben, geht in drei juristischen Verfahren gegen den Verlag vor, um die Veröffentlichung zu verhindern und verliert jedes Mal. Dann ruft er sie an und gratuliert ihr zum Sieg. Er bewundere sie, billige aber nicht was sie getan habe, es ist das letzte Gespräch zwischen beiden (Ausschnitt aus der Biografie auf ihrer Website www.francoisegillot.com

Stier und Minotaurus - Spiegel und Identifikationsobjekt

Spanier lieben Stiere und den Stierkampf, sagt Karl Giesecke. Als Beispiel dafür nennt er den Aufschrei und den Protest, den der nach einer Nivellierung des Straßengesetzes 1994 geplante Abbau im Volk hervorrief, als die riesigen schwarzen, lediglich die Silhouette eines Stier darstellenden Holzskulpturen, die sich auf vielen Bergen in Spanien befanden, hervorrief. Diese schwarzen Stiere sind das Logo des beliebten und bekannten Weinbrands, den die spanische Firma Osborne herstellt, sie wurden in den 50er Jahren aufgestellt. Der massenhafte Protest verhinderte den Abbau dieser gigantischen Werbetafeln zumal der Name der Firma nicht darauf stand und man sich darauf verlegen konnte, dass man Denkmäler der verehrten und bewunderten Stiere, die ihre Stärke, ihren Mut und ihre Kraft im Kampf in der Arena zeigten, nicht abreißen dürfe. „1997, drei Jahre nach der Ankündigung des Abbaus beschloss der Oberste Gerichtshof die Stiere aus Gründen der „ästhetischen und kulturellen Wichtigkeit“ entgegen der Straßengesetzgebung zu erhalten".(Karl Giesecke)
Silhouette des Toro de Osborne nahe Llanes Asturia von Manuel M. Vicente, Flickr

Auch Picasso verehrte ihn, machte hunderte Zeichnungen in der Werkreihe „Tauromachie“ (B 177). 1928 taucht er erstmals als Motiv auf und bleibt ein Motiv seiner Kunst über Jahrzehnte, Stiere malt er schon sehr viel früher. Picasso sagt: „Für mich ist der Stier das stolzeste der Symbole.“ (F.G. 309). Er stellt ihn entweder als Minotaurus dar, ein archaisches Ungeheuer und Fabelwesen, das die Menschen beherrscht, oder als Stier, der in der Arena mit den Menschen kämpft oder als lüsternes Wesen, das sich Frauen nähert. Schon in seiner Kindheit besucht er mit seinem Vater jeden Sonntag Stierkämpfe und auch in seinem späteren Leben in Südfrankreich unzählige Stierkämpfe und er sorgt dafür, dass in seinem Wohnort Vallauris Stierkämpfe eingeführt werden.
Die Liebe zu Minotauren und zu Stierkämpfen ist also zum einen durch seine Sozialisation in Spanien zu erklären, zum anderen durch seine Begeisterung für dieses stolze, kräftige, freie, urtümliche und durch Menschen kaum beherrschbare Wesen, mit dem er sich identifiziert, in dem er sich spiegelt. Als er nach dem Scheitern seiner Beziehung mit Olga, seiner zweiten Frau aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, malt er sich als Minotaurus, der einen Umzugskarren zieht. Die künstlerischen Themen, die er an diesem Sujet abhandelt, sind Gewalt, Tod und Sexualität, die s. E. zu den 20 Themen gehören, mit denen sich s.E. die Kunst beschäftigt oder beschäftigen sollte.

Picasso und seine Heimat
Er reist 1900 das erste Mal mit seinem Freund Casagemas in die Kunstmetropole Europas Paris, um die Bilder der Impressionisten zu sehen und arbeitet dort. Die nächsten Jahre pendelt er zwischen Barcelona und Paris immer wieder hin und her, bis er 1904 endgültig übersiedelt. 1940 beantragt er die französische Staatsbürgerschaft, der Antrag wird abgelehnt, es gibt ein Dossier von 1905, das ihn als Anarchisten einstuft. Als ihm ein Freund nach dem Zweiten Weltkrieg vorschlägt, doch jetzt endlich die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen reagiert er empört: „Was den Wechsel meiner Nationalität anbetrifft - ich repräsentiere Spanien im Exil.“ (F.G. 168). Während des Krieges bringt es ihn als Ausländer bei Reisen in Schwierigkeiten, dass er weder einen spanischen noch einen französischen Pass hat, aber er will den spanischen nicht anfordern, weil er damit das Franco-Regime anerkennen würde (FG 182) Er hat den Schwur getan, dass er Spanien so lange nicht betreten wird, solange Franco herrscht. Selbst zur Eröffnung des Picasso Museums in Barcelona 1962, das sein langjähriger Freund Sabartés aufgebaut hat, fährt er nicht. Ende der 50er Jahre lehnt er das Angebot auf Einbürgerung durch den französischen Präsidenten ab, faktisch ist er ein Staatenloser.

Die Verbundenheit mit seiner Heimat zeigt sich in mehreren Begebenheiten. Brassaï berichtet seinem Besuch bei ihm zusammen mit einer Spanierin, Picasso sagt mit “warm glänzenden Augen: »Sie sind Katalanin. Ich habe doch gleich gesehen, dass ihre Augen nicht von hier, sondern von da unten sind. Man kann seine Heimat nicht verleugnen«. Picasso hebt die Arme und pfeift eine Sardana. Ein junger wendiger Katalane tanzt da vor uns. Er strahlt, ist weit fort irgendwo in Katalonien.(…) Er tanzt die Sardana - er ist dort unten. »Man kann seine Heimat nicht verleugnen«“(B 172)

Nicht Málaga, wo er geboren ist, sondern Katalonien ist für ihn Heimat. Er hat lange Jahre in Barcelona gelebt und vielleicht sind es auch die auf Autonomie bedachten Katalonen, die ihm besser gefallen als die anderen Spanier. Er hält Kontakt zu vielen Freunden aus der Zeit in Barcelona, mehrheitlich Künstlern. Seinen Freund aus dieser Zeit, Sabartés, bittet er in einer schweren Krise zu ihm nach Paris zu kommen. Der kommt aus Amerika zurück und bleibt sein Leben lang sein treuester Begleiter in unterschiedlichsten Rollen.

Als sein Galerist Kahnweiler ihn darauf hinweist, dass viele gefälschte Bilder von ihm im Umlauf seien, reagiert er nachsichtig. „Ich kann doch die Fälscher nicht verklagen! Ich bin sicher, daß ich vor dem Untersuchungsrichter spanische Maler fände mit Handschellen an den Händen…Meine Freunde!“ (B 196)

Picasso kehrt nach dem Machtantritt von Franco nie wieder nach Spanien zurück, er stirbt 1973, zwei Jahre vor Francos Tod im selbstgewählten Exil. „Man hat seine Heimat in sich“, aber besuchen konnte er sie nicht mehr.1981 kehrt sein Monumentalgemälde, Guernica, das das Leid der Menschen während der Bombardierung der Stadt durch deutsche Flieger der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg zeigt, aus dem Exil in New Yorker MoMa nach Spanien zurück. Picasso hatte verfügt, dass es erst nach dem Ende des Faschismus nach Spanien zurückkehren darf. Es hängt im Madrider Museum Reina Sophia.

4. Die Bedeutung der Frauen für seine Künstlerkarriere

Seine Fähigkeit zu radikalen Umorientierungen im Leben

„Jedes Mal, wenn er Tabula rasa macht, ist es endgültig, unwiederbringlich. Das ist seine Stärke! Das Geheimnis seiner Jugendlichkeit. Er streift wie eine Schlange die schlechte Haut ab und beginnt woanders ein neues Leben. Niemals würde er nach einer Trennung einen Blick zurückwerfen. Sein Vergessenkönnen ist noch erstaunlicher als sein Gedächtnis.“ Sagt sein Freund Sabartés nach der Trennung Picassos von seiner Frau Olga und ihrer großbürgerlichen Wohnung in Paris über ihn. (B 78)

Fernande Olivier, Modell und Malerin lebt mit ihm 1905-1912 in sehr ärmlichen Verhältnissen in Paris. Zu Beginn dieser Zeit endet die blaue, die Rose Periode beginnt und 1906/7 malt er die Mademoiselles d'Avignon. 1911 krieselt es in der Beziehung.

„Cocteau (Ein Dichter und Freund Picassos, KRG) hat oft gesagt, daß die Begegnung mit Picasso das entscheidende Ereignis seines Lebens gewesen sei. Picassos Kühnheit und Klugheit, sein Humor, das Neu-anfangen-, das Sich-wandeln-Können, seine schnurrigen Wortspiele, seine kurzen, treffenden Definitionen, seine »tiefgründige Phantasie« - all das hat zweifellos Cocteaus quecksilbrigen Geist stimuliert.“ (B 97)

In seinen Beziehungen zu Frauen wie auch in seiner künstlerischen Praxis ist Picassos Wille und seine Fähigkeit zu radikalen Umorientierungen stark.

Seine Prämierung des Innovierens, des Zerstören des Vorhandenen und dessen Ersetzung durch das Neue, die Prämierung der disruptiven Dimension der Wandeltriade, bestimmt sein Privatleben wie seine Künstlerische Praxis. Die Triebkraft Neues zu beginnen nutzt seine unbändigen Energien, seinen Willen und seine Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst und anderen, um Vorhandenes durch Neues zu ersetzen.

Die Wandeltriade wurde hier im ersten Abschnitt: Picasso der Entdecker vorgestellt, um den radikalen und revolutionären Charakter seiner künstlerischen Praxis zu beschreiben.

Neue Frauen und neue Kunst

„Ich »goutiere« nie etwas, genauso wenig, wie ich etwas gern habe. Ich liebe oder ich hasse. Wenn ich eine Frau liebe, dann sprengt das alles, besonders die Malerei. Alle Welt kritisiert mich, weil ich den Mut habe, mein Leben in aller Öffentlichkeit zu leben, vielleicht mit mehr Zerstörung darin als bei den meisten anderen, sicher aber auch mit mehr Sauberkeit und Wahrheit. Noch mehr ärgert es mich, daß jeder denkt, ich sei ohne Kultur, nur weil ich ungehemmt bin und nach meiner Fasson lebe.“ (ÜK 54/55)

Es gibt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines neuen Kunststils und dem Beginn einer Beziehung zu einer anderen Frau. Das bestätigen er selbst, seine Biografen Gilot, Brassaï und Sabarté. Würde ein Wissenschaftler, in dem sich die Idee für eine neue Entdeckung oder Erfindung mehr oder weniger klar abzeichnet, seine Frau verlassen müssen, um diese Entdeckung machen zu können? Vermutlich eher nicht. Woran liegt das? Vermutlich daran, dass Picassos Karriere radikal subjektbezogen ist, er im eigentlichen Sinne keinen Beruf hat, den er vom Privatleben trennen kann und will. Kunst zu machen ist seine Lebensform, und wenn es in einem Bereich seines Lebens eine Veränderung gibt, dann werden die anderen Bereiche unmittelbar davon tangiert.

Die Illustrierte Stern hat zu Beginn der 80er Jahre einen Artikel zu Picasso und seinen Frauen mit dem Titel “Der Mann den die Frauen liebten“ veröffentlicht. Fotos der Frauen und die Bilder, die Picasso von ihnen gemalt hat, werden gegenübergestellt und man kann sehr gut verfolgen, welcher neue Stil sich durch die Beziehung mit welcher neuen Frau entwickelt.


Ich habe leider nicht recherchieren können, wann genau der Artikel erschienen ist, den Emanuel Eckert geschrieben hat. An den Fotos, die ich jetzt einfügen werde, werden Sie sehen, dass dieser Artikel herausgetrennt und lange Zeit eingeheftet aufbewahrt worden ist. Ich fand die Präsentation so gut und erhellend, dass ich diese Unschönheiten auf den Fotos in Kauf genommen habe.
Die Präsentation der Fotos gibt die Abfolge seiner Beziehungen und Kunststile wieder.

Fotos der Frauen und Bilder, die Picasso von ihnen gemalt hat, finden sich auf dieser sehr gut gemachten Website im Menüpunkt Musen, die Übersetzung ist manchmal weniger gelungen.
Picassos Frauen

Eva Gouel, die Freundin eines polnischen Malers lernt er schon 1911 kennen, von 1912 bis 1915 sind sie zusammen, bis Eva an Tuberkulose stirbt. Mit "Ma Jolie" beginnt die kubistische Periode. Danach hat er eine Affäre mit Gabrielle Lespinasse, die als eine der wenigen Frauen ihn abweist.

Sein Fotograph und Freund Brassaï hat den Beginn und das Ende mehrerer Beziehungen miterleben können und kommt zu dieser Hypothese: „Immer begehrend, des Gewonnenen immer wieder überdrüssig wie der große Verführer aus Sevilla (gemeint ist Don Juan, KRG), unterwirft er sich stets nur einer Frau, um sich dann durch seine Arbeiten von ihr zu befreien. Ein Liebesabenteuer ist für ihn kein Selbstzweck, sondern das unentbehrliche Stimulans seiner schöpferischen Kraft und darum zu ernst, um flüchtig und heimlich sein zu können.(…) Aber wenn er auch seine Liebe verstecken wollte, seine Malerei, seine Zeichnungen, seine Lithos, seine Radierungen und seine Plastiken würden das Geheimnis auf den ersten Blick preisgeben. Das Bild der Neuerwählten ersetzt sogleich das der Verlassenen.“ (B 81)

Olga Koklova, seine erste Frau, eine Primaballerina des 'Ballét Russe', lernt er 1917 bei seiner Arbeit am Vorhang für das Ballett 'Parade' kennen. Mit ihr beginnt die Neoklassizistische Periode mit Portraits, Monumentalfiguren und Arbeiten des synthetischen Kubismus (Drei Musikanten 1921). Sie heiraten und bekommen einen Sohn Paolo, den er als 1924 Harlekin malt. Sie lebt ein großbürgerliches Leben, in dem er eher zu Gast ist, und führt Picasso in das Großbürgertum von Paris ein. Die Ehe ist bald zerrüttet, aber sie trennen sich nicht, Picasso sucht sich ein Atelier und eine eigene Wohnung. Als sie erfährt, dass er 1935 ein Kind mit seiner heimlichen Geliebten Marie Therese Walter bekommt, will sie sich scheiden lassen, doch Picasso verweigert wegen der enorm hohe Abfindung die Trennung. Er kauft ihr ein Haus, sie bleiben bis zu ihrem Tod 1955 verheiratet, sie verfolgt ihn mit Briefen und Besuchen und versucht sich an seinen weiteren Frauen zu rächen. Sie stirbt unglücklich und einsam an Krebs.
(B 78)

Picasso weiß, dass seine Beziehungen zu Frauen nicht ewig währen. Er sagt zu Françoise Gilot in dem Moment, als die beiden sich finden: “Wir wissen nicht, wie viel wir vor uns haben, deshalb müssen wir uns sehr davon hüten, die Schönheit dessen, was wir haben, zu zerstören. Es gibt alles nur in begrenztem Maß, besonders das Glück. Wenn eine Liebe beginnen soll, ist alles schon irgendwo aufgezeichnet, auch ihre Dauer und ihr Inhalt.“ (FG 39)

Er sagt ihr, was ihn an Frauen anzieht und fasziniert: „Ich war besessen von seltenen Gesichtern und Ihres ist eines davon.“ (FG 36) Das von Marie-Thérèse Walter ist ein weiteres. Françiose Gilot schreibt über sie: „Ihre Gestalt war von statuarischer Schönheit und von einer Reinheit der Linie, die mir außerordentlich vollkommen schienen. In der Fülle der Anregungen, die die Natur einem Künstler bietet, gibt es Formen, die seinem ästhetischen Empfinden nahekommen und ihm als Sprungbrett der Imagination dienen. Marie Thérèse hatte Pablo viel zu bieten, denn ihre physische Schönheit forderte ihn heraus anerkannt und zum Ausdruck gebracht zu werden.“ (FG 199)

Marie-Thérèse Walter ist 17 Jahre alt, als er sie 1927 anspricht, sie wird seine heimliche Geliebte bis 1935, der Gegenpol zu Olga und sein Modell. Die Formen beginnen sich zu runden, eine neue Frau war in sein Leben getreten beobachtet Brassaï(GB 20). Picasso malt 1932 ein surrealistisches Portrait „Frau mit Blume“ und „Mädchen vor einem Spiegel“, 1935 „Interieur mit zeichnendem Mädchen“, das das erste Mal die typische Kopfform von Profil und Vorderansicht zeigt. 1935 wird ihre Tochter Maya geboren, die Balance zwischen beiden Frauen in Picassos Leben zerbricht, er kommt in eine schwere Krise. 1937 verlässt er sie, Dora Maar nimmt ihren Platz ein. Zehn Jahre lange besucht er sie und seine Tochter zwei Tage die Woche. Zwei Jahre nach Picassos Tod suizidiert sie sich. Maya wird sich dem Werk ihres Vaters widmen.
Marie-Thérèse Walter

Seine Abhängigkeit von den Musen

Jedes für ihn einzigartige Gesicht fordert und fördert offenbar eine andere Weise der Darstellung dessen, was es in Picasso bewirkt und auslöst. Diese Frauen haben für ihn die Funktion einer Muse gehabt. Die Rolle der Frauen und Geliebten als Musen, die die männlichen Künstler inspirieren, gibt es schon seit Jahrhunderten. 1932 lernt Picasso Salvador Dali und seine Partnerin Gala kennen. Im Gegensatz zu anderen Frauen hat sie noch andere Rollen, die sie erfolgreich ausübt. “Und Gala, Geliebte, Muse, Erzieherin, Ratgeberin und Geschäftsfrau in einer Person, nahm das »Phänomen Dali« in die Hand; sein aufsehenerregender Erfolg ist zu einem großen Teil ihr Werk.“ (FG 29). Die Rollen Erzieherin, Ratgeberin und Geschäftsfrau hat Picasso seinen Frauen nicht zugestanden.

Die Fotografin Dora Maar, die zu dieser Zeit mit Brassaï, Cartier-Bresson und Man Ray zusammenarbeitet und mit sozialkritischen Straßenbildern, Modefotografie, Reportagen und der Technik der Fotomontage erfolgreich ist, lernt er 1936 kennen. Sie fotografiert seine Bilder, auch die verschiedenen Stufen der Entstehung des Guernica Bildes, dessen Monochromie wie die des späteren Beinhauses an Fotoreportagen erinnern und auf ihren Einfluss zurückgehen. Sie ist Teil der Surrealistischen Bewegung, er überredet sie mit dem Fotografieren aufzuhören und mit surrealistischer Malerei anzufangen. Zusammen entdecken sie in Vallauris die Keramik, die Picasso viele Jahr als Werkgattung beibehält. Obwohl die Beziehung 1943 zu Ende ist, widmet sie sich erst in hohem Alter wieder ihren Fotos. Das Centre Pompidou zeigt 2019 eine Retrospektive mit 400 Werken. Eine emanzipierte und erfolgreiche Künstlerin, intelligent, sensibel und von depressiven Verstimmungen heimgesucht ist. Picasso malt sie als weinende Frau.
Dora Maar

1943 verliebt sich Picasso in Françoise Gilot, eine 22jährige begabte Künstlerin, mit der er zehn Jahr zusammenlebt und arbeitet und zwei Kinder hat, Claude und Paloma. Sie weiß um die vielen Vorgängerinnen und darum, dass ihre Beziehung auch nicht ewig dauern wird. Sie profitiert durch die Arbeit mit ihm, hat aber unzählige Pflichten zu erfüllen, um ihm das ungestörte Malen zu ermöglichen und glaubt lange Zeit „sie müsse sich ihm ganz hingeben“ (FG 282). Sie kann mit ihm als Fachfrau über Kunsttheorie, Techniken und Wirkungen kommunizieren und stellt genaue Kopien von Zuständen seiner Bilder im Entstehungsprozess her, überwachte die Arbeit der Fotografen seiner Bildhauerei, der Keramiken und versuchte zwischen Haushalt, Kindern und ihren Pflichten zu malen. Und sie zeichnet Picassos Gespräche mit ihr und mit seinen Freunden über Kunst genauestens auf, daraus entsteht später ihr Buch. Ihren Rat konnte er jedoch nicht annehmen, ließ sich von ihr, einer Tochter aus gutbürgerlichem Hause, auch was seine Manieren und Umgangsformen anbetraf, nicht erziehen und auch die Geschäfte machte er selber.

Picasso warf ihr des Öfteren vor, sie würde ihm seine Freiheit nehmen wollen, was vermutlich von ihr nicht intendiert war, er wehrte sich aufs heftigste dagegen. Wie sich gleich herausstellen wird, ist das eine Projektion, er selbst hat seine Freiheit zugunsten seiner Innovationskraft als Künstler aufgegeben und bekämpft seinen Ärger darüber an ihnen. Für die Frauen ist diese Dynamik vermutlich unverständlich, sie ertragen diese Situationen und leiden, oder gehen irgendwann wie sie.

„Keine Frau verlässt einen Mann wie mich“ (FG 300). Sie ist die einzige der Frauen, der es gelingt, ein glückliches Leben mit einem Mann und ein erfolgreiches Leben als Künstlerin zu führen, nachdem sie sich von Picasso getrennt hat. Dazu muss sie allerdings nach Amerika gehen, denn ihre Bilder kann sie in Paris nicht verkaufen, Picasso hatte alle Galeristen unter Druck gesetzt. Aus ihrer Sicht sind die Konten ausgeglichen und sie ist in der Lage, ihr Leben mit ihm respektvoll, ohne Ambivalenzen und Rachegedanken, kritisch sich selbst und Picasso gegenüber zu beschreiben. Sie wird 101 Jahre alt.Es gibt zahlreiche Videos über sie und ihre Kunst und ein Website
Francoise Gilot Françoise Gilot

Im letzten Abschnitt habe ich den Anteil, den seine Sozialisation im patriarchalisch geprägten Spanien um die Jahrhundertwende auf die Gestaltung seiner Beziehung zu Frauen hat, beschrieben. Die Machtkämpfe, die Drohungen, die Beleidigungen, sein Streben nach dem Sieg über sie, all dies hat neben der biografischen Prägung noch eine andere Wurzel.

Er ist und macht sich abhängig von Frauen, die ihn zu neuen Ausdrucksformen seiner Kunst inspirieren.

Es gibt immer wieder Phasen in seiner Künstlerkarriere, wo er unzufrieden ist, weil er spürt, dass eine Phase vorbei ist, das Neue - eine neue Ausdrucksform seines künstlerischen Schaffens - für ihn aber noch nicht sichtbar und fühlbar ist, also eine echte Übergangsphase, die schwer auszuhalten ist. Er verliert das Interesse an seiner derzeitigen Muse, sie hat ihre Inspirationskraft verloren und geht auf die Suche. Hier die Schilderung seines Freundes Brassai, der diesen Zusammenhang verstanden hat, über den Beginn der Beziehung zu Françoise Gilot:

„Ich sehe das sich anbahnende Idyll, ich spüre in Picassos überwacher Sensibilität die untrüglichen Zeichen für eine künstlerische Erneuerung und versuche mir vorzustellen, wie diese neue Frau sich auf sein Werk auswirken wird, bringt doch jedes glamouröse Erlebnis bei ihm eine neue Ausdrucksform mit sich. Und ich denke auch mit Sorge an die unvermeidlichen zermürbenden Kämpfe, die es geben wird, die es schon gibt.“ (B 81)

Picasso hat Selbstständigkeit und Unabhängigkeit als zweiten Karriereanker, er kämpft beständig dagegen, von Menschen, Institutionen, von Geschäftspartnern abhängig zu sein.

Wie kann Picasso die Abhängigkeit von Anderen in einer für ihn existenziellen Frage, nämlich Kunst machen zu müssen und immer wieder neue Techniken, neue Ausdrucksformen, neue Kunststile, neue Werkgruppen schaffen zu müssen, ertragen?

Da seiner Kunst, wie er sagt, alles untergeordnet wird, funktioniert die Beziehung zu einer Frau, solange sie dazu dient seine neue und innovative künstlerische Praxis zu befördern, also eine katalysatorische Funktion zu übernehmen. Ich denke man muss diesen Satz ernst nehmen und als Erklärung für sein leicht zu verurteilendes Verhalten verstehen:
„Ich verschwende die meine (Energie, KRG) auf eine einzige Sache: meine Malerei. Alles andere wird ihr geopfert - du und jeder andere - einschließlich meiner selbst.“ (FG 294)

Seine radikale Prämierung des Künstlerankers, Kunst als „einzigen Lebenszweck“ zu haben, seine biografische Prägung durch den spanischen Männlichkeitskult und die zu seiner Persönlichkeit gehörenden Charaktereigenschaften wirken zusammen und bestimmen sein Verhältnis zu Frauen. Rein psychologische Erklärung halte ich für unterkomplex.

Die Kämpfe mit und Erniedrigungen der Frauen bekommen auf diesem Hintergrund eine andere Bedeutung.

Man kann sie auch so verstehen, dass sich Picasso an ihnen dafür rächt, dass er von ihnen abhängig ist.

Wie kann jemand, der ein extremes Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung hat, sich freiwillig abhängig machen und diese Abhängigkeit aushalten? Sicher nicht ohne starke Ambivalenzen gegenüber der Person, von der er abhängig ist. Er sucht in den Kämpfen mit ihnen vergleichsweise lächerliche Siege und gibt beschämende Seiten von sich preis. Immer wieder werden sein Werk und sein Image als Künstler durch dieses auch für die Umwelt bemerkbare Verhalten beschädigt. Es ist leicht, „das Genie des Jahrhunderts“ damit vom Sockel zu holen, die Idealisierung Anderer ist bei Bewunderern immer mit einer inneren Ambivalenz verbunden. Aber Picasso kann nicht anders und zahlt einen Preis dafür wie auch seine Frauen, Kinder und Enkel.

Seine letzte Frau und Muse ist Jacqueline Roque, die in der Keramikwerkstatt als Verkäuferin arbeitet, in der Picasso lange Zeit Keramiken produziert hat. Er ist sich über lange Zeit nicht sicher, ob er ihren Avancen, die in die letzte und schwierige Phase seiner Beziehung zu Françoise Gilot fallen, nachgeben soll. Als diese ihn 1953 verlassen hat, darf Jacqueline zu ihm kommen, muss allerdings ihr Kind in Pflege geben. Im Gegensatz zu den anderen Frauen ist sie ihm völlig ergeben, nennt ihn den Meister oder Gott und stellt ihr Leben 20 Jahre in den Dienst seines künstlerischen Schaffens. Sie schützt ihn, schirmt ihn ab vor Neugierigen, sogar vor seinen Kindern und Enkeln. Picasso ist hochproduktiv, allein von ihr soll es 400 Bilder geben.

Er heiratet sie 1961 als nahezu Achtzigjähriger, nachdem seine erste Frau Olga gestorben ist. In diese lange Phase fallen die D’Après Zeichnungen, mit denen er ihm wichtige Gemälde anderer Meister malerisch interpretiert, von Velásquez Las Meninas gibt es 40 Varianten, oft es geht ihm dabei auch um die Lösung malerischer Probleme (GPF 112). Bis zu seinem Tode malt er in der „ihm eigenen Besessenheit“ wie sein Freund Sabartés es nennt.
Nach seinem Tode 1973 ist seine Frau unermesslich reich, hat aber offenbar den Sinn ihres Lebens verloren und erschießt sich 1986.

In die Zeit des Beginns dieser Beziehung fällt die Begegnung 1954 mit Sylvette David, einer 19jährigen schönen jungen Frau und Designerin, die mit ihrem Freund in Vallauris Stahlmöbel verkauft, Picasso ersteht einen von ihnen designten Stuhl. Er malt 40 Portraits dieser eher schönen jungen Frau mit Pferdeschwanz, die Brigitte Bardot sehr ähnlich sieht. Eine Affäre mit ihr hat es offenbar nicht gegeben.

5. Die Bedeutung der Freunde für seine Karriere

„Die Freundschaft ist ihm ebenso heilig wie seine Kunst.“ sagt sein Freund Jaime Sabartés (JS 28)

„Das ist so seine Art. Manche Leute akzeptiert er sofort, andere nie. Sie können jetzt zu ihm gehen, wann sie wollen, sie werden immer willkommen sein.“ (B 140)

Prüfungen für Freunde
„Von Zeit zu Zeit unterwarf Pablo alle seine Freunde derartigen Prüfungen.“ (FG 258) Er hatte seinem Freund Paul Éluard gesagt, er solle die Frau, mit der er zusammenlebt, nicht heiraten, sie würde nicht zu einem Dichter wie ihm passen.
„Max Jakob hat mich einmal gefragt, warum ich zu Leuten, die mich eigentlich nichts angehen, so nett bin und so hart zu meinen Freunden. Ich habe darauf gesagt, wie egal mir die ersteren sind. Weil ich mir aber sehr viel aus meinen Freunden mache, halte ich es für nötig, die Freundschaft ab und zu auf die Probe zu stellen, nur um zu prüfen, ob sie so stark ist, wie sie sein muss.“ (FG 152)

Die meisten seiner Freunde sind Künstler: Die Maler Henri Matisse, André Derain, George Braque, Juan Gris, der Bildhauer Giacometti; die Dichter Paul Éluard, Guillaume Appolinaire, Max Jacobs und Jean Cocteau, der Fotograf George Brassaï, die Galeristen Ambriose Vollard und Daniel Henri Kahnweiler. Die fünf Malerfreunde in seiner frühen Zeit in Barcelona, die im Künstlertreff Els Quatre Gats verkehrten, Manuel Pallarès, mit dem er in einer Krise 1898 mehrere Monate in dessen Heimatort verbringt, Carlos Casagemas mit dem er nach Paris ging und der Dichter Jaime Sabartés, der sein Privatsekretär wird.

Mit seinen Galeristen und Kunsthändlern Vollard und Kahnweiler hatte er nicht nur geschäftliche Beziehungen, er war mit ihnen auch befreundet. Ihren Anteil an seiner Karriere habe ich im Abschnitt Picassos Künstlerkarriere beschrieben. Aus dem Kreis seiner Freunde wähle ich einige aus, zu deren Einfluss auf seine Karriere ich genügend Daten habe.

Jaime Sabartés
Sabartés ist Journalist und Schriftsteller, bis er ‚in Picassos Dienste tritt‘ und 1935 sein Privatsekretär wird. Er selbst bezeichnet sich als der „Sakristan“, was Küster oder Kirchendiener bedeutet. (GPF 86) Gilot nennt ihn Palasthüter, er habe die Rolle eines Sekretärs, Managers und Laufburschen und Freundes inne, mit dem Picasso spanisch spricht und in einem gemeinsam entwickelten Geheimcode täglich korrespondiert. Loyal, diskret und verschwiegen. (FG 145 und 147f)
Sabartés sagt zu Brassaï, der ihn zu seinem 1946 erschienen Buch über Picasso beglückwünscht: „Man könnte meinen, Picasso vertraue mir alles an, er verrate mir seine geheimsten Gedanken. Das ist ein großer Irrtum! Nichts dergleichen! Wenn wir allein sind, sprechen wir nur selten miteinander. Wir sind das vollkommene Beispiel für eine Einsamkeit zu zweit.“ (B 159)

Als sie sich 1899 in Barcelona kennenlernen, ist Sabartés Dichter und gehört zur dortigen Künstlerbohème. Picasso erstellt die ersten beiden Portraits von ihm. Er folgt ihm nach Paris 1901, es ist die Zeit des Hungers und der kalten Wohnung. Sabartés, der seit Kindheit unter einer Augenkrankheit leidet, ist ein Missgeschick passiert und sie haben nichts zu essen. Picasso beleidigt ihn, er sei ein Versager, der es zu nichts bringen würde. Er kehrt tief gekränkt nach diesem Vorfall 1902 nach Barcelona zurück. Ihre Beziehung ist offenbar nicht dauerhaft zerrüttet, Picasso malt 1903 und 1904 dort drei Portraits, dann trennen sich ihre Wege, Sabartès geht nach Guatemala, 31 Jahre später sehen sie sich wieder.

Als Picasso sich 1935 von seiner Frau Olga trennt und aus der für ihn völlig unpassenden großbürgerlichen Wohnung auszieht, kommt er nach eigenen Worten in die stärkste Krise seines Lebens. Die ehelichen Auseinandersetzungen haben ihn zermürbt und niedergeschlagen, sogar die Malerei ist ihm verleidet, schreibt Brassaï (37). Picasso bittet seinen alten Jugendfreund Jaime Sabartés aus Amerika oder Spanien (Die Quellen widersprechen sich hier) zu ihm nach Paris zu kommen und Sabartés kommt, bringt seine Frau mit, die sich aus ihrer Beziehung heraushält, um ihn zu stabilisieren und über viele Jahre sein Leben in den Dienst von Picasso zu stellen. (JS 114)
Sabartés in Paris 1901

Was ist sein Beitrag zu Picassos Karriere?

Sabartés ist für alles verantwortlich, was Picasso von seiner künstlerischen Praxis abhalten könnte, Korrespondenzen, Rechnungen, Listen von Werken etc. und der Besucherstrom. Er schirmt ihn von allem ab und erträgt es -wie Picassos Frauen auch- als Schuldiger für alles, was Picasso ärgert, herzuhalten.

Er ermöglicht es ihm, sich ganz seiner Kunst zu widmen, er entlastet ihn von notwendigen Arbeiten, die seine materielle Existenz sichern und die Picasso als unnütz einstuft, vermeidet und vertrödelt.

Ohne Sabartés Organisationstalent, das er bereits als Neunjähriger seinem Großvater zur Verfügung stellen musste (FG 144), wären vermutlich weniger Werke entstanden.
Überdies hat er die von Picasso geschätzte Fähigkeit eines Menschen, sich in seiner Gegenwart unsichtbar zu machen, da zu sein und ihn nicht zu stören, das ist vermutlich mit der Einsamkeit zu zweit gemeint.
Er dient ihm ergeben, treu und uneigennützig trotz des miserablen Gehalts. In den späten Fünfzigern oder frühen Sechzigern beginnt Sabartés, in Barcelona ein Museum für Picasso zu projektieren. Wie bereits beschrieben, gelingt ihm das trotz massiver Schwierigkeiten, es wird 1963 eröffnet.

Was ist seine Belohnung dafür und warum funktioniert diese Beziehung?

Er schätzt die Bedeutung Picassos und seiner Werke richtig ein. Kahnweiler sagt „für ihn ist er nicht nur der größte Maler aller Zeiten, es gibt keinen anderen, er ist einzig, einmalig.“ (B 188). Picassos Grundannahme über die Bedeutung seiner Kunst für sein Leben: „Alles andere wird ihr geopfert - du und jeder andere - einschließlich meiner selbst.“ (FG 294) akzeptiert Sabartés, er wirkt an etwas mit, was größer ist als er selbst.

Aber er ist auch in der Lage, die Person Picasso realistisch zu sehen, was in seinem Buch, zu dem ihn Picasso ermuntert, deutlich wird. Brassaï schreibt über Sabartés: “Es gefällt mir, dass dieser Mann, nachdem er seinen Gott gefunden hat, ihn nicht blind anbetet, sondern ihn auch bissig kritisiert und seine Verschrobenheit bespöttelt. Er verschweigt weder Picassos Widersprüchlichkeiten noch seine Zweifel, weder seine Pedanterie noch seine Launen, all die Schwächen, die seine Stärke ausmachen. Er spielt sogar mit unverhüllter Bitterkeit auf den Streit an, der ihn länger als ein Jahr von seinem Freund trennte.“ (B 158)

Picasso malt acht Porträts von ihm im Laufe der Zeit, eines davon sogar eine Auftragsarbeit, die er entgegen seiner generellen Abneigung gegen Vorgaben Sabartés zuliebe nach dessen Wünschen ausführt. Das Picasso Museum in ihrer beider Heimat Barcelona mit 35 Sälen, zu dessen Ehrenkonservator er ernannt wird: „Das ist die Krönung seiner Lebensarbeit, die Erfüllung seines aufopferungsvollen Lebens.“ Sabartés ist glücklich.(B 185f)
Er stirbt 1968, fünf Jahre vor Picasso.

Carlos Casagemas
Mit ihm, einem der fünf Künstler des Els Quatre Gats teilt er 1900 sein erstes Atelier in Barcelona. Mit ihm geht er nach Paris, wieder zurück nach Barcelona und Málaga, wo sie ein ausschweifendes Leben als Bohèmiens führen, was ihr weiteres Leben anbetrifft, aber völlig orientierungslos sind. Sie gehen wieder nach Paris, leben ärmlich, aber fühlen sich im Zentrum der Avantgarde. Casagemas verfällt dem Alkohol und einer Tänzerin, die ihn ablehnt, er suizidiert sich aus Liebeskummer, während Picasso gerade wieder in Spanien ist.

Der Verlust seines Freundes schockiert und erschüttert ihn zutiefst, er verarbeitet ihn und seine Trauer um den Freund in Bildern, die ihn auf dem Totenbett darstellen: „Casagemas‘ Tod“ und sein Begräbnis: „Evokation - Das Begräbnis Casagemas“. Das monochrome Blaugrün erscheint in den Bildern. Sabartes‘ Porträt und sein Selbstbildnis von 1901 (Cover seines Buchs: Über Kunst) stellen einsame melancholische Menschen dar.

Es ist der Beginn der Blauen Periode, das erste Bild in diesem neuen von Picasso erfundenen Stil.

Das 1903 gemalte Bild „La Vie“, „Das Leben“, das Liebe, Verzweiflung und Mutterschaft darstellt, gilt als das Hauptwerk dieses Stils und dieser Phase. Eine der dargestellten Personen "...trägt die Züge Casagemas', war aber ursprünglich als Selbstbildnis gedacht."(GPF 28) Denkt man an Picassos Satz, dass nichts, was übermalt wird, im Bild verloren geht, dann findet hier eine Wiedervereinigung beider Freunde statt. Es folgen noch mehrere Bilder in diesem Stil: „Die Armen am Meeresstrand“ 1903, „Celestina“ und „Die Büglerin“ 1904, dann kommt die Farbe Rosa in die Bilder, eine neue Periode beginnt, sie überlappen sich zunächst. Mit der rosa Periode kommen die Harlekine und Artisten.
Link zum Bild La Vie Blaue Periode

Der Suizid seines Freundes ist der Anlass, andere Stilmittel und Ausdrucksformen zu finden, die besser als die vorherigen Picassos Erleben und in der Welt sein zu verarbeiten und darstellen zu können. „Kunst entwickelt sich nicht aus sich selbst, sondern die Vorstellungen der Menschen ändern sich und mit ihnen ihre Ausdrucksform.“ schreibt Picasso in seinen Bekenntnissen.(ÜK 12)
Carlos Casagemas hat seinem Freund Pablo Ruiz Picasso zu dessen erster, unverkennbarer und revolutionärer Stilrichtung verholfen.
Es wird so bleiben, dass jeder Stilwechsel mit der Trennung von einer für Picasso bedeutsamen Person einhergeht.

Namenswechsel sind immer ein Indikator für die Veränderung der Identität, er nennt sich ab jetzt nur noch Picasso. “Und der Name, den man trägt oder annimmt, hat seine Bedeutung.“ (B 57), es ist der Name seiner Mutter.
Casagemas Beerdigung (IW 16)

Henri Matisse
Henri Matisse lernt er schon 1905 bei den Gesellschaften kennen, die Gertrude Stein, Dichterin und Kunstsammlerin und ihr Bruder Leo, wohlhabende Erben aus Amerika, in ihrem Pariser Salon für die Künstler der Avantgarde gaben. Er habe Matisse wegen seiner bürgerlichen Art nie besonders leiden mögen sagt Picasso.

Er verdankt ihm, der zur Gruppe der postimpressionistischen ‚Fauvistischen Maler’ wie auch Braque und Derain gehört, eine entscheidende Entdeckung.

Die Fauvisten bekommen den Namen ‚Die Wilden‘ nach einer Ausstellung ihrer Bilder 1905. Matisse hatte 1906 im Salon eine afrikanische Statuette bei sich, die er bei einem Trödler gekauft hatte, über die die beiden sich unterhalten. Die als ’Fauves‘ bekannten Künstler interessierten sich für die Werke der ‚L’art nègre‘, deren Einfachheit und Ausdrucksstärke sich in ihren Bildern niederschlug.

Picasso ist begeistert und elektrisiert, er studiert die Sammlungen der anthropologischen Abteilungen der Museen. Ihre formalen Qualitäten sind der letzte Anstoß eine neue Formenwelt, den Kubismus zu erfinden. Als er dann ein Jahr später die Desmoiselles malt, ist Matisse entsetzt über diesen Malstil. (IW 40) Die Gesichter zweier Figuren sehen aus wie Masken, Picassos wollte ein Bordell malen, der Name des Bildes war „Das philosophische Bordell“, den anderen bekam es von einem Kurator, der es erstmal 1916 öffentlich in einer Ausstellung zeigte. Zuvor war es nur wenigen in seinem Atelier zugänglich, einer davon war Braque. (GPF 38)

Der Anregung durch den Fauvisten Matisse verdankt er letztlich auch seine Erkenntnis über den kulturellen Sinn der Malerei. Die Wirkung und Ausdruckskraft dieser Werke liegt in ihrer apotropäischen, das meint Unheil abwendenden Funktion, die in allen Kulturen zum Schutz vor bösen Mächten genutzt werden. Hier die bereits zitierten Sätze:
„Die Menschen schufen diese Masken und die anderen Gegenstände zu geheiligten Zwecken, zu magischen Zwecken, als eine Art Vermittler zwischen ihnen selbst und den unbekannten bösen Mächten, die sie umgaben, um ihre Furcht und ihren Schrecken zu überwinden, indem sie ihnen Form und Gestalt verliehen.

Malerei ist eine Form der Magie, dazu bestimmt, Mittler zwischen jener fremden feindlichen Welt und uns zu sein. Sie ist ein Weg, die Macht an uns zu reißen, indem wir unseren Schrecken wie auch unseren Sehnsüchten Gestalt geben.“ (FG 221)

Wenn man diesen Hintergrund kennt, dann bekommt die Anekdote über eine eher abstoßend wirkende primitive und riesige Figur aus Neuguinea, die Matisse zu Beginn der 1950er Jahre Picasso schenken will, weil sie zu ihm doch gut passen würde, noch eine andere Bedeutung und bestätigt auch Brassaï‘s Einschätzung über die auch durch Ambivalenzen geprägte Beziehung zwischen beiden.
Er sagt zu Francoise Gilot, „Übrigens, das Ding aus Neuguinea macht mir Angst, ich glaube Matisse auch, und deshalb will er es unbedingt loswerden. Er glaubt wohl, ich könne die Dämonen besser austreiben als er."(FG 221)

Nach dem 2. Weltkrieg, als beide in Südfrankreich leben, entwickelt sich also eine enge Beziehung. “Von allen Künstlern, mit denen Pablo während der Jahre verkehrte, die ich mit ihm verbrachte (1943-53, KRG), bedeutete ihm keiner so viel wie Matisse.“ (FG 216)

Picasso: „Im Grunde kommt alles nur auf uns selbst an. Man hat eine Sonne mit 1000 Strahlen im Leib. Alles Übrige zählt nicht. Einzig deshalb ist Matisse Matisse. Er trägt diese Sonne im Leib, und nur deshalb geschieht von Zeit zu Zeit etwas.“ (W&B 29)

Die beiden besuchen sich, reden über ihre Werke und über Kunst, verfolgen die künstlerische Arbeit des anderen, tauschen Bilder aus, Picasso besitzt von Matisse mindestens acht. Picasso verehrt ihn und hält seinen Malstil für einzigartig. Er beherrsche die „Sprache der Farben“, befreie sich aus der Zwangsjacke der Natur und entscheide sich für Farben, ob sie nun denen der Natur entsprächen oder nicht.(FG 226f)
Matisse Malstil hat Einfluss auf das Spätwerk, die starken Farben, deren Flächen nicht voneinander abgegrenzt sind, die mit den Nachbarfarben zusammenklingen, durch die Komposition wirken und sich von der Darstellung der Natur befreien.

“Wir müssen so oft wie möglich miteinander sprechen, sagte er (Matisse) einmal zu Pablo, denn wenn einer von uns beiden stirbt, dann gibt es gewisse Dinge, die der andere nie mehr mit jemandem besprechen kann.“(FG 219). Matisse ist zu der Zeit schon alt und kränklich und stirbt 1954.

Brassaï, der beide kennt, schätzt die Beziehung zwischen ihnen als ambivalent ein. Er sagt zu Matisse‘ Tochter in einem Gespräch: „Ich finde, Picasso und Matisse hatten eigentlich nicht viel Gemeinsames. Ihre Berühmtheit muß sie zusammengeführt haben. Sie schätzten sich wohl wie zwei Rivalen, die sich zusammentun, sich aber gegenseitig nicht aus den Augen lassen. Sie waren von Natur aus zu verschieden.“ (B 182). Matisse beklagt, dass bei einer gemeinsamen Ausstellung beider Werke in London 1945 nur Picassos beachtet würden.

George Braque
Picasso stellt das Bild der Desmoiselles 1907 noch nicht öffentlich aus, neugierige Maler kommen in sein Atelier, darunter auch George Braque, der zur Gruppe der fauvistischen Maler um Matisse gehört. Überwältigt von Stil und Wirkung dieses Bildes setzt er sich in seinen Bildern mit Picassos Stil auseinander. (GPF 44f) Eine enge Kooperation beginnt, beide arbeiten an der Transformation von Formen in geometrischen Flächen. Braque stellt 1908 seine Bilder aus, ein Kritiker spricht von Kuben, um den neuen Stil zu beschreiben, daraus entsteht der Begriff Kubismus. Picasso stellt zunächst nicht aus.

Beide arbeiten ab Ende 1908 gemeinsam an der Entwicklung dieses neuen Stils, unterstützt vom Galeristen Kahnweiler, der ihre vermutlich nicht immer ganz einfache Kooperationsbeziehung moderierend oder mediierend begleitet. Sie sehen sich täglich und sind Nachbarn.
Gemeinsam entwickeln sie den sogenannten „analytischen Kubismus“, der sich durch Mehrperspektivität und Aufsplitterung der Form in kristallartige Gebilde, Kuben auszeichnet. Picassos Bilder der beiden Galeristen Kahnweiler und Vollard entstehen in dieser Zeit und können als Vollendung dieses Stils angesehen werden.
„Als wir den Kubismus ‚erfanden‘, hatten wir keinerlei Absicht, den Kubismus zu erfinden. Wir wollten nur ausdrücken, was in uns war. Keiner von uns hatte einen besonderen Schlachtplan entworfen.“ (W&B 42)

Der kubistische Stil wird von anderen Malern aufgegriffen, es bildet sich eine Gruppe um Léger und Delaunay, die ihre Bilder ausstellen, was Picasso und Braque nicht tun, den von wem auch immer so genannten ‚Salonkubisten‘, von denen sich die beiden distanzieren. Die beiden wollen keine Schule gründen, sondern weiterhin neuen Ausdrucksformen erarbeiten. 1912 entstehen die ersten Arbeiten des sogenannten „synthetischen Kubismus“, es entstehen Collagen, Klebebilder (papier collé), „indem tatsächliche Splitter der Wirklichkeit die malerische Formgebung ersetzen. … Beide Künstler versuchten, direkte Anhaltspunkte an der Wirklichkeit zu finden, um durch den Gegensatz dem Bild als künstlicher und unnatürlicher Schöpfung mehr Gewicht zu verleihen.“ (HJ 28f)

Picassos Künstlerkarriere wird durch diese kooperative Entwicklung von zwei revolutionären Stilrichtungen stark beeinflusst, die Erfindung des Kubismus gemeinsam mit Braque gilt als Durchbruch in seiner Karriere.

Die beiden müssen ihre Zusammenarbeit unfreiwillig beenden, der erste Weltkrieg beginnt, im August 1914 wird Braque eingezogen, im Krieg heftig verletzt und braucht lange um sich davon zu erholen. Die beiden nehmen ihre Zusammenarbeit nicht mehr auf, Picasso produziert neben kubistischen Werken u.a. Portraitzeichnungen im realistischen Stil, den Vorhang für das Ballett Parade. Picassos Resümée:
„Wir versuchten eine neue Ordnung aufzubauen… Niemand brauchte zu wissen, ob es der oder jener war, der dies oder jenes Bild gemalt hatte. Aber der Individualismus war schon zu stark… Sobald wir sahen, dass das kollektive Abenteuer eine verlorene Sache war, musste jeder einzelne von uns sein individuelles Abenteuer finden“ (ÜK 52)

6. Verwendete Literatur

AVAmbroise Vollard: Erinnerungen eines Kunsthändlers. Diogenes Zürich 1980. Erstveröff. Souvenirs d’un marchand de tableaux Paris 1937
Sein erster Galerist und Kunsthändler

FG Françoise Gilot/Carlton Lake: Leben mit Picasso. Diogenes, Zürich o.J. ISBN3-257-26030-X. Erstveröffentlichung: Life with Picasso, New York 1964)
Sie lebt mit ihm 1944-1954, erstellte Aufzeichnungen ihrer Gespräche, bewahrte Briefe von Picasso und Dokumente auf und verfasste das Buch unter mithilfe von Carlton Lake, Journalist, Kurator, Kunstsammler und Autor von Kunstbüchern, u.a. über Picasso, in Amerika.

B Brassaï: Gespräche mit Picasso. Rowohlt, Reinbek 1990, Erstveröffentlichung: Conversation avec Picasso, Paris 1964
Brassaï ist ein berühmter Photograph, der 1931 bis 1956 Picasso als Photograph seiner Werke, Gesprächspartner über Kunst und Biograph begleitet. Bei seinem Besuch im Jahre 1960 liest er ihm aus seinem Manuskript vor. Picasso: “Das ist eben so wahr, ebenso authentisch wie ihr Sgraffti (Fotoband von Brassaï, KRG). Sie müssen es unbedingt veröffentlichen.“ (B 179) Eine autorisierte Biographie also.

GPF Francesco Galluzzi, Claudio Pescio, Ilaria Ferraris: Picasso - Leben und Kunst. Karl Müller Verlag, Köln 2004. Erstveröff. Vita d’artista. Picasso Firenze-Milano 2002
Kommentierter Bildband

HJ Hans L.C. Jaffé: Picasso. Verlag DuMont Schauberg Köln 1964.
Kommentierte Bildband

IW Ingolf F. Walther: Pablo Picasso 1881-1973 – Das Genie des Jahrhunderts. Benedikt HJ Taschen Verlag Köln 1986
Kommentierter Bildband

JS Jaime Sabartés: Picasso. Gespräche und Erinnerungen. Sammlung Luchterhand, Frankfurt/M. 1900 Erstveröffentlichung: Picasso, Retratos y Recuerdos 1953
Jugendfreund in Barcelona und Paris, seit 1935 sein Sekretär, Freund, Modell, Biograph und Gründer des Picasso Museums in Barcelona bis zu seinem Tode

MP Marina Picasso: Und trotzdem eine Picasso. Leben im Schatten meines Großvaters. List, München 2001. Erstveröffentlichung Grand-Père, Paris 2001
Die Abrechnung seiner Enkelin mit ihrem Großvater. Sie bekommt kaum Zugang zum Großvater, verliert ihren Vater Paolo und ihren Bruder durch zu frühe und wie sie meint durch Picasso verschuldete Tode, erbt 1,5- 2 Milliarden, gründet eine Stiftung für Waisenkinder.

POB Patrick O’Brian: Pablo Picasso. Eine Biographie. Ullstein, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1982, S. 216–217

WB Palo Picasso: Wort und Bekenntnis - Die gesammelten Dichtungen und Zeugnisse. Arche Verlag, Zürich 1954
Picassos „Bekenntnisse“ aus mehreren Jahren, Gedichte und ein Theaterstück, von ihm selbst verfasst.

ÜK Picasso: Über Kunst - Aus Gesprächen zwischen Picasso und seinen Freunden ausgewählt von Daniel Kehl. Diogenes Zürich 1988, Erstaufl.1982
Zitate aus Wort und Bekenntnissen, aus Interviews und Biographien

WWWilfried Wiegand: Picasso mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1998 17.Aufl., Erstaufl. 1973
Sorgfältig recherchierte Biographie mit vielen Fotos und fundiert dargestellte künstlerische Entwicklung Picassos

Bilder aus:
Artikel von Emanuel Eckert: Picasso – Der Mann, den die Frauen liebten. Artikel im Stern o.J,

Galerie der großen Maler - Picasso I. Teil Heft Nr.19 und II. Teil Heft 20. Bastei Verlag Bergisch Gladbach 1965
Kunstband mit Kommentaren

Websites werden an den entsprechenden Stellen im Text verlinkt

tar_083, id138, letzte Änderung: 2025-03-25 09:57:01

© 2023 Prof. Dr. phil. habil. Kornelia Rappe-Giesecke