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- Karriereverläufe jenseits von Laufbahn und Beruf.
- Der Karriereanker von Entdeckern
- Entdeckeranker bei bildenden Künstlern
- Entdeckeranker bei Wissenschaftlern
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in progress
Diese Website stellt, anders als Bücher, die nach der Beendigung eines Forschungsprozesses verfasst werden und die Ergebnisse präsentieren, den Forschungsverlauf dar. Die Texte in den Menüpunkten sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschrieben worden, repräsentieren also den jeweiligen Stand der Erkenntnis. Das ist bei diesem zentralen Abschnitt von besonderer Relevanz, da es hier um das Forschungsziel, die Karrieretheorie und das Modell der Entdeckerkarriere geht.
Ich habe mich entschieden, die älteren Teile nicht umzuschreiben, sondern sie zu belassen und die neuen anzufügen, also den Forschungsverlauf zu zeigen, dessen Ergebnis ein weiterer Karrieretypus ist, der vermutlich nicht nur auf die Gruppe der Entdecker zutrifft.
Für diejenigen, die das Ergebnis in Kurzform lesen wollen, hier eine knappe Zusammenfassung:
Entdecker wollen und müssen entdecken, sie wollen Entdecker sein. Damit haben Sie im Vergleich zu den vielen anderen eine Gewissheit, die ihrem Leben Kontinuität und Sinn gibt. Einen autonom vom Individuum gesetzten Sinn der Karriere, der zu ihrer entscheidenden Triebkraft wird.
Der individuelle Sinn der Karriere und des Lebens ersetzt die Orientierung an Laufbahnen und Karrierepfaden in Organisationen, an der Normalform von Erwerbsbiographien, an den Qualifikationswegen von Professionen, Fächern und Berufen, also allen drei Dimensionen der Karrieretriade: Laufbahn, Lebensgeschichte und professioneller Werdegang.
Deshalb sind die Ergebnisse der Erforschung dieser 'abweichenden Karrieren' nicht nur für das Verstehen von Entdeckerkarrieren nützlich, sondern auch für die Beschreibung dieser immer verbreiteteren individuumszentrierten Karriereverläufe, auf die die am Anfang vorgestellten Karrieremodelle von Angestellten und Selbständigen auch nicht zutreffen. Und sie treffen auch auf das Verstehen von Künstlerkarrieren zu, die schon immer diesen Typus verkörperten: Sie wollen und müssen Kunst machen, sie wollen Künstler sein.
Die Gliederung dieser Seite:
Welche Modelle von Karriere gibt es?
Meine Annahme war 2022 und ist, dass es kein allgemeingültiges Modell von Karriere geben kann, das für alle Gruppen berufstätiger Menschen Geltung hat. Ein Anlass, mich mit den Karrieren von Entdeckern zu beschäftigen war, dass die bislang vorhandene Modelle den Karriereweg dieser Gruppe und der von Künstlern, die ich zuvor untersucht hatte, nicht erfassen können.
Die drei vorhanden Triadischen Modelle, die sich in der Praxis bewährt haben, erklären Karrieren aus dem Miteinander- Gegeneinander- und Nebeneinander von drei Dimensionen oder Faktoren.
Das erste dieser drei Karrieretriaden ist: Die Karriere von Berufstätigen, die in Organisationen arbeiten und angestellt sind. Organisation ist der Oberbegriff für Institutionen, Unternehmen, Verwaltungen, sozialen Einrichtungen etc. Ihre Karrieren entstehen aus dem Zusammenwirken von Laufbahn, der Abfolge von Positionen oder Funktionen, die sie im Laufe ihres Lebens in Organisationen eingenommen haben, also dem was man allgemein unter Karriere versteht; zweitens dem professionellen Werdegang, also dem Erwerb von fachlicher Expertise und dem Praktizieren als Professional und drittens der Lebensgeschichte, der Biografie, dem Lebensweg und seiner psychischen Verarbeitung. Während die Karrieretriade eine dynamische Triade ist, die die Zeit erfasst, sind die drei Faktoren der ihr zugrunde liegenden strukturellen Triade der in Organisationen Angestellten: Funktion, Profession und Person.
Hier die von mir entwickelte Triade der Karriere von in Organisationen arbeitenden Personen
Die zwei weiteren von mir entwickelten Karrieretriaden für die Gruppe der Unternehmerinnen und der Selbstständigen weisen andere Faktoren auf.
Die Karriere von Unternehmerinnen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit, der Entwicklung des Unternehmens und der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung.
Die Karriere von Selbstständigen ist das Produkt des Zusammen-, Gegeneinander- und Nebeneinanderwirkens der Entwicklung der Persönlichkeit des Selbstständigen, der Entwicklung der Dienstleistung bzw. des Angebots und der Entwicklung der Organisationsformen selbstständiger Tätigkeit.
Mehr zu den drei Karrieretriaden finden Sie auf der Website "Wandeltriade" in Wandel von Personen
Keine dieser drei Triaden ist geeignet, die Spezifik der Karrieren von Entdeckern zu erfassen, genau so wenig wie die von Künstlerkarrieren. Nimmt man die Faktoren der ersten Karrieretriade, Laufbahn professioneller Werdegang und Lebensweg, so findet man die die folgenden Abweichungen in den Karrieren von Entdeckern.
Und es gibt keine "Entdeckerorganisationen" mit Karrierepfaden und Laufbahnen. Sie schaffen sich ihre eigenen Organisationen und Praxissysteme, ihre Position darin und ihren Weg von einem zum anderen, man könnte auch sagen, sie schaffen sich ihre eigene Laufbahn.
Deshalb gibt es auch keine sozial festgelegten Kriterien für die Bewertung einer Entdeckerkarriere wie beispielsweise für die Karrieren von Menschen in Organisationen. Hat die Person zum Zeitpunkt X die Position eines Sachbearbeiters inne, zum Zeitpunkt Y die Position Teamleitung oder Abteilungsleitung, so hat sie, legt man dem Bewertungsmaßstab des Aufstiegs in der von den Organisationen vorgegebenen Laufbahn, dem Karrierepfad, an, Karriere gemacht.
Es gibt keine Institutionen, die Entdecker ausbilden. Sie schaffen sich einen eigenen fachlichen Werdegang. Sie entwickeln ihr eigenes Ausbildungscurriculum und ihre eigene Arbeitsmethodik. Sie sind nicht auf eine Disziplin oder eine Profession festgelegt, sie schaffen Querverbindungen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, zwischen verschiedenen Formen der professionellen Praxis.
Einen erfolgreichen professionellen Werdegangs in einem etablierten Beruf schafft derjenige, der die Stationen Lehrling, Geselle, Meister oder gar Ausbilder von Meistern erfolgreich passiert hat; oder in einer akademischen Ausbildung den Bachelor für ein Fachgebiet, den Master, vielleicht noch die Promotion oder gar die Habilitation erfolgreich abschließt.
Die Entdeckung bestimmt das, was man als Privatleben bezeichnen würden. Die Person, die Persönlichkeit wird auf die Entdeckung hin ausgerichtet, man könnte in manchen Fällen auch sagen zugerichtet, das gesamte Leben wird dem Primat des Entdeckens untergeordnet. Glück, Gesundheit, Zugehörigkeit zählt für sie nicht oder kaum, Ehen und andere feste Bindungen glücken eher selten.
Die beiden Triaden der Karriere von Unternehmern und von Selbstständigen scheinen auf den ersten Blick eine größere Übereinstimmung mit der Karriere von Entdeckern aufzuweisen, aber auch davon weichen die Entdeckerkarrieren ab.
Auch geht es ihnen nicht darum, ein Unternehmen oder eine Praxis aufzubauen, die sich erfolgreich am Markt behaupten kann. Ein Unternehmen zu gründen ist für sie nur ein Mittel zum Zweck, nämlich dem Zweck, an der Entdeckung arbeiten oder sie verbreiten zu können. Der Aufbau von organisationalen Strukturen hat nur dienenden Charakter für ihre individuelle Praxis des Entdeckens und sie scheuen sich, ihre Energie in deren Aufbau und Erhalt zu stecken, wenn es auf Kosten des Entdeckens geht. Ebenso wenig geht es ihnen darum, Erfindungen oder Entdeckungen auf den Markt zu bringen, um damit Geld zu verdienen, höchstes um damit die weitere Entdeckungspraxis und ihr Auskommen zu finanzieren.
Kann man ein wissenschaftliches Modell entwickeln, wenn die untersuchte Personengruppe, die Entdecker, keine Normalbiographien aufweisen, keine Laufbahnen, keine Ausbildungswege, weil sie Wandel durch disruptive Prozesse, also vernichten, erfinden und ersetzen prämieren und dadurch als Abweichung von anderen untersuchten Gruppen erscheinen?
Im Vergleich zur Gruppe der in Organisationen arbeitenden Menschen, zu Selbstständigen und zu Unternehmern ist das Entdecken für sie ein existenzielles Bedürfnis, eine Lebensnotwendigkeit. Darin sind sie der Gruppe der freien Künstler, deren Karrieren ich ebenfalls untersucht habe, ähnlicher als den drei oben genannten.
Ihre Arbeit ist aufs engste mit ihrer Persönlichkeit verknüpft, man kann sie nicht als sozialen Typus, sondern nur als Personen modellieren, was ein Problem für meine Forschung ist.
In der Beratung von Entdeckern ist dies kein Problem, denn dort emergieren sie als Individuen, als Persönlichkeiten in ihrer Einzigartigkeit.
An diesem Punkt entziehen sie sich meinem üblichen wissenschaftlichen Vorgehen, ich kann kein Triadisches Modell der Entdeckerkarriere bauen wie in den anderen drei Forschungsprojekten.
Zum Spiegelungsphänomen
Mit diesem – im Übrigen überall entstehenden, meist aber nicht bemerkten – Spiegelungsphänomenen kann man so umgehen, dass man sie erstens erkennt, zweitens benennt und drittens für die Lösung anstehender Probleme nutzt. In der von Michel Giesecke und mir entwickelten "Kommunikativen Sozialforschung" nutzen wir diese auch in der Forschungspraxis emergierenden Phänomene systematisch. "Selbstwahrnehmung und –beschreibung des Forschungssystems" ist die vierte Phase des idealen Forschungsablaufs. Wir haben damals, wie Entdecker das tun, jenseits des eigenen Bereichs in der Supervision, die wir untersuchten und die ich gerade parallel zu meiner Tätigkeit im Forschungsprojekt erlernte, nach einer Lösung für dieses Problem gesucht.
Zur Kontrolle der eigenen Interpretationen und zur Verbreiterung der Datenbasis haben wir eine weitere Phase in den Forschungsprozess eingefügt, die "Datenrückkopplung an das untersuchte System (Hypothesentest, Triangulation)",die fünfte Phase des idealen Forschungsablauf.
Wenn Sie mehr zu Spiegelungsphänomenen in der Forschung und Beratung lesen wollen:
Zur Integration von Selbsterfahrung und distanzierter Betrachtung in der Wissenschaft
Gemeinsam mit Michael Giesecke
In: Wie kommt die Wissenschaft zu Wissen? Band 1: Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Hrsg.: Theo Hug. Innsbruck. Buch, CD-Rom und Internetversion 2001
Selbsterfahrung und distanzierte Betrachtung in der Wissenschaft
Hier der Hinweis auf unser Buch zur Kommunikativen Sozialforschung 1997
Kommunikative Sozialforschung KRG
Kommunikative Sozialforschung MG
Kurze Einführung in die Bedeutung von Spiegelungsphänomene in der Supervisions- und Beratungspraxis
Spiegelungsphänomene
Die Umorientierung im Vorgehen 2023
Wenn ein Fehler im Vorgehen auftritt, so ist die Maxime, die Root-Bernstein bei der Untersuchung von Entdeckerkarrieren herausgearbeitet hat, genau an dieser Stelle weiterzumachen, aber mit anderen Methoden und Annahmen. Seine Studie wird hier im Menüpunkt "Programme und Phasen des Entdeckens" vorgestellt.
Zunächst war die Frage, was ist der Stand der Erkenntnis, was ist klar, was nicht?
Entdecker müssen all das selber schaffen, was anderen durch die Nutzung vorhandener und vorgegebener professioneller Werdegänge und Laufbahnen und auch vorherrschenden persönlichen Lebensentwürfen abgenommen wird. Nimmt man die Triade des Berufstätigen mit den drei Faktoren Person Profession und Funktion, so kann man sagen, dass eine extreme Prämierung der Person festzustellen ist. Dem entspricht die Prämierung individueller gegenüber sozialer und kultureller Praxis.
Entdecker müssen in starkem Maße auf sich vertrauen und immer wieder prüfen, ob Ihre persönlichen Ressourcen ausreichen, um ihren eigenen fachlichen Werdegang zu schaffen, Positionen innerhalb oder außerhalb von Institutionen und Organisationen zu finden oder selbst zu schaffen, die ihnen das Entdecken ermöglichen und drittens sich persönliche Lebensbedingungen zu schaffen, die es möglich machen, ihre Mission und Lebensaufgabe zu erfüllen. Um Erfolg zu haben, brauchen Sie ein hohes Maß an Selbstreflexion und Selbstkenntnis, um ihre Karriere zu steuern oder sich zu entscheiden, sie gegebenenfalls auch zu beenden.
Fazit: Es kann kein Triadisches Modell der Entdeckerkarrieregeben, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt im Forschungsprozess nicht.
Die Entwicklung der Entdeckerpersönlichkeit und ihrer Biographie kann man untersuchen, aber es gibt kein Triadisches Modell der Entdeckerkarriere, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der Analyse nicht, nur eines der Entdeckungspraxis.
Was meint Entwicklung?
Etwas als Entwicklung zu bezeichnen, setzt einen Bewertungsmaßstab voraus. Biografien und Lebensläufe lassen sich als Chronologie, das heißt Abfolge von Ereignissen in der Zeit beschreiben. Veränderungen diagnostiziert man, wenn man einen Faktor aussucht, zwei Zeitpunkte auf der Timeline der Chronologie aussucht und Unterschiede in der Ausprägung dieses Faktors feststellt, z.B. eine Veränderung von Gesundheit (von mehr zu weniger oder umgekehrt), eine Veränderung von mehr zu weniger Ideen oder Erkenntnissen etc.
Bewertet man diese Veränderung mithilfe eines Maßstabes, dann kann man positive oder negative Entwicklungen feststellen. Da verschiedene Menschen unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe haben, fällt die Bewertung, ob eine Veränderung eine Entwicklung darstellt, unterschiedlich aus. So können die Einschätzungen des Entdeckers selbst und die anderer relevanter Personen von Veränderungen in seiner Biographie weit auseinander liegen.
Mehr zu unserem Modell von Lebensgeschichte als Ereignis-, Erlebnis- und Veränderungsgeschichte auf meiner Webseite
Wandeltriade
So war für Reinhold Messners Mount Everest Expedition der Bewertungsmaßstab: Schaffe ich es, den einzig möglichen Weg auf die Spitze des Mount Everest zu finden, für Kolumbus den Seeweg nach Indien zu entdecken, für Stefan Hell die Beugungsgrenze zu knacken, für Böttcher Gold zu machen und für Guttenberg die schönste und immer gleichbleibende Schrift zu entwickeln.
Ich entschied mich, die Versuche zur Modellbildung abzubrechen und zur empirischen Arbeit zurückzukehren, zur Untersuchung der Karrieren von Entdeckern, zu umfangreichen Fallanalysen. Zunächst wurden Karrieren von Naturwissenschaftlern, die meist an Organisationen gebunden sind, analysiert. Karrieren, wo es um anderes als um die Schaffung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Erfindungen geht.
Sie finden sie im Menüpunkt Karrieren von Entdeckern – Fallstudien unter Naturwissenschaftlerinnen
Karrieren von Entdeckern - Fallstudien
Danach sollten Fallstudien zu Karrieren, die stärker individuumzentriert und nicht organisationsbezogen sind, folgen. 2024 fiel meine Wahl auf eine Fallstudie über Reinhard Messmer, auf den das Kriterium ‚Karriere jenseits von Beruf und Laufbahn‘ zutrifft und auf eine zweite über Picassos Künstlerkarriere, deren Ergebnisse ich mit der Analyse von Interviews zwölf weiterer Künstler kontrastierte. Was ich nicht vermutet hatte, war, dass es jede Menge strukturelle Ähnlichkeiten der Karrieren dieser beiden herausragenden Persönlichkeiten gab, also entschied ich mich 2025 überdies für einen Vergleich.
Sie finden den Vergleich im Menüpunkt Fallstudien:
Kunst machen müssen - Die Menschen- und Bergnatur entdecken
Das Ergebnis dieser Studien war: Diese scheinbar völlig unvergleichlichen Karrieren, die von den laufbahn- und organisationsorientierten abweichen, weisen die gleichen Merkmale auf. Sie zeichnen sich durch eine radikal subjektorientierte Lebensführung aus, weisen disruptive Verläufe auf und werden allein durch den von der Person autonom gesetzten individuellen Sinn ihrer Arbeit und ihres Lebens gesteuert und energetisch getragen. Die daraus für die Entdecker entstehenden Probleme sind ebenfalls die gleichen. Die gefundenen Merkmale fanden sich auch in den Karrieren der Naturwissenschaftler wieder, die ich auf diesem Hintergrund erneut analysierte.
Exkurs: Andere Karrieretheorien
Danach schaute ich die Karrieretheorien, mit denen ich mich lange vor diesem Projekt auseinandergesetzt hatte, nochmal an.
Die Karrieretheorie Edgar Scheins hat lediglich Gültigkeit für den Typus der organisationsbezogenen Karrieren. Er unterscheidet drei Karriereverläufe, den Aufstieg in der Hierarchie, das horizontale Überschreiten von Funktionsgrenzen: Ausbau der Fertigkeit und Fähigkeiten und die Annäherung ans Zentrum: Erwerb von Einfluss und Macht. Auch die von ihm beschriebenen „Hauptstufen der beruflichen Entwicklung“ sind an Organisationszugehörigkeit und der Dreiteilung der Erwerbsbiographien orientiert. Seine Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Karriere, also der Orientierung an eigenen Werten, bei ihm den Karriereankern und der Abfolge von Positionen und Beschäftigungsverhältnissen hat nur Gültigkeit für Menschen, die in Organisationen arbeiten. Bei Entdeckern und Künstlern kann man diese Unterscheidung nicht machen, die äußere Karriere ist die innere Karriere und umgekehrt.
(Schein, Edgar 1992)
Martin Kohli, Soziologe mit dem Schwerpunkt Biographieforschung, beschrieb zur gleichen Zeit, Anfang der 90er Jahre, das Erodieren der durch Institutionalisierung gestützten Karrieren. Er befasste sich mit dem Wandel der damals noch in der Gesellschaft vorherrschenden „Modelle von Erwerbsbiographien“ und deren Phasen:
„Die angeführten Befunde (seiner Analyse, KRG) sprechen für eine zumindest partielle Auflösung der bisher institutionalisierten Verlaufsmuster des Lebens, mit der Folge der Biographisierung der Lebensführung, d.h. einer Situation, die nach eigenständiger biographischer Orientierung verlangt.“ (Kohli 1994, S. 232).
Die Theorie von der Notwendigkeit der "Biographisierung des Lebenslaufs" (Kohli) beschreibt den sich seit vielen Jahren vollziehenden gesellschaftlichen Wandel von Karrieren. Entdecker mussten m.E. schon immer ihre Karriere selbst konstruieren, neu ist, dass dies heute auch große Teile der berufstätigen Menschen tun müssen. Kohli weist schon damals darauf hin, dass nicht alle lernen müssen mit diesem Wandel umzugehen.
Ich würde ergänzen, dass man viele, die zur Gruppe der Selbstständigen gehören, auch dazu zählen kann.
Der Bezug auf das Selbst ist sei kein Hedonismus, sondern „eine Form der Suche nach dem letzten Grund für die Orientierung in der Welt“ nach einem wie er sagt “transzendentalen Haltepunkt“ (233-34). Während für die anderen Gruppen diese Suche eine kontinuierliche und nicht endende bleibt, da institutionalisierte Karrierewege und Normalbiografien erodiert sind, haben Entdecker und Künstler diesen „letzten Grund und Haltepunkt“ recht früh gefunden und halten in der Regel ihr Leben lang daran fest, schreibt er.
Meine Forschung zeigt: Künstler wollen und müssen Kunst machen, sie wollen Künstler sein, Entdecker wollen und müssen entdecken, sie wollen Entdecker sein. Damit haben Sie im Vergleich zu den vielen anderen eine Gewissheit, die ihrem Leben Kontinuität und Sinn - allerdings keine Sequenzialiät, also einen geregelten Ablauf aufeinanderfolgender Phasen - gibt.
Wir sprechen in der Biographischen Anthropologie statt vom letzten Grund oder Haltepunkt vom autonom vom Individuum gesetzten Sinn der Karriere, der zu ihrer entscheidenden Triebkraft wird.
Der individuelle Sinn der Karriere und des Lebens ersetzt die Orientierung an Laufbahnen und Karrierepfaden in Organisationen, an der Normalform von Erwerbsbiographien, an den Qualifikationswegen von Professionen, Fächern und Berufen, also allen drei Dimensionen der Karrieretriade: Laufbahn, Lebensgeschichte und professioneller Werdegang.
Deshalb sind die Ergebnisse der Erforschung dieser ‚abweichenden Karrieren‘ nicht nur für das Verstehen von Entdeckerkarrieren nützlich, sondern auch für die Beschreibung dieser immer verbreiteteren individuumzentrierten Karriereverläufe, auf die die am Anfang vorgestellten Karrieremodelle von Angestellten und Selbständigen auch nicht zutreffen.
Verwendete Literatur
Zu Spiegelungsphänomenen direkt danach im Abschnitt: Weiterlesen
Schein, Edgar: Karriereanker – die verborgenen Muster in ihrer beruflichen Entwicklung, Lanzenberger, Looss und Stadelmann, Darmstadt 1992; engl. University Associates San Diego 1992
Neueste Ausgabe: Schein, Edgar H., van Maanen, John und Schein, Peter A.: Career Anchors Reimagined. Wiley New Jersey 2023
Kohli, Martin: Institutionalisierung und Individualisierung der Erwerbsbiographie. In: Beck, Ulrich und Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hrsg.): Riskante Freiheiten - Individualisierung in modernen Gesellschaften. Suhrkamp Verlag Frankfurt219-244 1994, S. 232
Rappe-Giesecke: Triadische Karriereberatung - Begleitung von Professionals, Führungskräften und Selbständigen, EHP Verlag Köln 2006
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Karriereanker ist der Name für ein von Edgar Schein erfundenes Konzept und Tool, das weltweit in der Karriereberatung angewandt wird. Seine Langzeitstudien an Karrieren von Managern in den 60er bis 90er Jahren ergaben, dass Menschen in den ersten Berufsjahren, wenn sie mit den Realitäten des Berufslebens und der Organisationen konfrontiert sind, lernen, was ihre Motive (Was treibt mich an?), ihre Fähigkeiten und Kompetenzen (Was kann ich gut?) und ihre Werte (Was ist mir wichtig?) sind. „You begin to have a sense of what is ’you‘ and what is noch ‚you‘.“Daraus entsteht ein „Selbstkonzept“, das mehr und mehr die Funktion eines Steuerungssystems, er nennt es “a guidance system“ für Entscheidungen über ihren beruflichen Weg übernimmt. „The career anchor, as defined here, is that one element in a person’s self-concept that he or she will not give up, even in the face of difficult choices.” (Schein 2013, 9).
Die Gliederung dieser Seite:
Im Rahmen meiner Habilitation habe ich eine umfassende Analyse der acht von Schein gefundenen Anker und seines Konzepts durchgeführt. Eines der Ergebnisse meiner empirischen Forschung war die Hypothese, dass es noch einen oder zwei weitere Anker gibt, die Edgar Schein aufgrund seines Samples - er hat Manager untersucht - nicht hat finden können, einen Künstleranker und einen Entdeckeranker. Diese Hypothese war der Anlass, ein Projekt zur Erforschung und Beschreibung der beiden Karriereankern zu beginnen. Schein selbst hielt es für möglich weitere Karriereanker zu finden, wie er mir 2010 in einem Gespräch sagte, wenn man bei diesen Gruppen ein anderes Motiv fände.
Schein hat eine Karrieretheorie entwickelt, die wie im Zitat oben nachzulesen ist, die Karriere mit dem Eintritt in das Berufsleben und eine Organisation beginnen lässt, damit sind sowohl Institutionen als auch Unternehmen gemeint. Bei Entdeckern beginnt ihre Karriere in der Regel im Alter von fünf Jahren und wird auch nie eine organisationsbezogene.
Ein nach eigener Erfahrung häufiger Anlass für Karriereberatungen ist, dass Berufstätige in den vierziger Jahren feststellen, dass eine Karriere in Organisationen für sie nicht das richtige ist. Je länger sie warten, durchhalten und an diesem Karriereweg festhalten, desto schwieriger wird das Umsteuern, zum Beispiel in die Selbstständigkeit. Es gibt also nicht nur Entdecker und Künstler, die sich nicht an Karrierepfaden in Organisationen orientieren mögen, sondern auch Unternehmer und Selbstständige.
Man kann weder Scheins drei Typen von Karriereverläufen in Organisationen - wie im Abschnitt Karrieren jenseits von Laufbahn und Beruf beschrieben - für die hier untersuchte Gruppe verwenden, noch das Verfahren zur Erhebung von Karriereankern.
Künstler konnten den Fragebogen zur Erhebung der Anker nur zu zwei Dritteln ausfüllen und bemerkten dazu, dass sie sich hierin nicht wiederfinden könnten. Bei Entdeckern habe ich es aus unterschiedlichen Gründen noch nicht versucht, bin aber sicher, dass es zum gleichen Ergebnis führen wird. Hingegen ist meiner Erfahrung nach die Arbeit mit den Karriereankern für die Karriereberatung mit Menschen, die in Organisationen arbeiten, ein hervorragendes Tool.
Anker sind nicht nur, wie Edgar Schein schreibt, ein Konglomerat aus Motiven, Fähigkeiten und Werten der Person, das ist eine Prämierung einer der drei Generaldimensionen der Persönlichkeit, des komplexen Organismus, nicht der Lebensgeschichte und der Triebkräfte. Anker haben aber eben auch eine energetische Komponente, nicht nur eine strukturelle Dimension oder eine historische. Die Abbildung der Persönlihckeitstriade finde Sie auf der Seite
Die Persönlichkeit von Entdeckern
Und es fehlt der selbst gesetzte Sinn, der zur Triebkraft wird! Motiv im engeren psychologischen Sinne erscheint mir, verglichen mit einer autonomen Sinnsetzung, die zur Triebkraft wird, eher schwach.
Statt von Karriereankern von Entdeckern oder Künstlern spreche ich jetzt deshalb lieber von Triebkräften ihrer Karrieren. Die Bezeichnung Entdeckeranker, die ich lange verwendet habe, belasse ich den älteren Texten, korrekt wäre die "Triebkraft Entdecken".
Ein weiterer Unterschied zu Edgar Scheins Vorgehen ist, dass man m.E. mit drei Ankern arbeiten muss, mit Ankerkombinationen, nicht nur mit einem einzelnen Anker. In den Fallstudien habe ich Kombinationen der Triebkraft Entdecken oder Kunst machen zu müssen mit den Karriereankern „Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ und „Totaler Herausforderung“ oder „Challenge and Risk“, wie er ihn jetzt umbenannt hat, gefunden (Schein 2023, 48). Das sind zwei der acht Karriereanker, die offenbar einen größeren Geltungsbereich als z.B. „Sicherheit und Beständigkeit“ haben, und auch bei Entdeckern und Künstlern vorkommen.
Konsequenzen
Entdecken wollen und müssen ist eine Triebkraft, die sich schon vor Beginn der Schulzeit zeigt und verschiedene Ausprägungen hat, je nach Objekt der Entdeckung: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren, Unentdecktes in unserem Kosmos oder in sich zu als Mensch als Teil des Kosmos zu entdecken, Erfindungen zu machen oder Kunstwerke zu schaffen. Die Entdeckerkarrieren beginnen in der Kindheit! Für diesen Typus von Karrieren braucht man eine Theorie, die die Persönlichkeit und ihre Biographie in den Mittelpunkt stellt, nicht die Organisationen und die Wege der Menschen darin.
Ob es einen Künstleranker gibt oder geben sollte, ist für mich derzeit fraglich. Feststellen kann man, dass nicht alle Künstler den Entdeckeranker haben und dass ihre Karrieren von der Triebkraft Kunst machen zu müssen ihre Energie und ihren Sinn bekommen. Bisher gibt es in dem Sample der acht Anker keinen professionsbezogenen, lediglich der Anker „General Management“ weist auf eine besondere Eignung für die Management-Profession hin.
Die Bestimmung des Geltungsbereichs der Schein‘schen Karrieretheorien lässt mich im Moment daran zweifeln, dass es Sinn macht eine Triebkraft, die einem ganz anderen Typus angehört, zum Anker zu machen und diesem Tool hinzuzufügen.
Um Entdeckerkarrieren zu charakterisieren und Maximen für deren optimale Steuerung daraus zu entwickeln, kann man die noch mal überarbeiteten 16 Merkmale der Karrieren von Entdeckerkarrieren nutzen.
Ihre Karriere beginnt im Kindesalter. Der Antrieb zu entdecken ist früh da, wirkmächtig und mit viel Energie ausgestattet. Angeregt und angezogen durch eigene Talente oder durch Dinge (Artefakte) oder Ereignisse in ihrer Umwelt entsteht in ihnen eine Faszination, die die Energie liefert, eine ausgeprägte eigene Vorstellungswelt zu entwickeln, in der Ideen für das, was es zu entdecken gilt entstehen kann.
Sie erkennen früh, dass der Sinn ihres Tuns, nämlich zu entdecken, ihr Lebenssinn ist, dass entdecken wollen also zur Triebkraft ihrer Karriere wird, die schon hier beginnt.
Sie zeichnen sich schon früh durch einen großen Arbeitseifer aus, der für ihre Umwelt teilweise besorgniserregend ist. Sie arbeiten dabei nicht von anderen vorgegebene Aufgaben ab, sondern schaffen sich ihr eigenes Curriculum, unabhängig von dem der Schule oder des Studiums, und sie haben dabei große Freude am selbstbestimmten Lernen und am Umsetzen.
Darüber hinaus ist bei ihnen ein ausgeprägtes und für die Entdeckung nötiges und einschlägiges Talent vorhanden, das ihnen die Arbeit leicht macht.
Kommen sie aus sozialen oder familiären Verhältnissen, in denen dieses Talent nicht relevant ist oder nicht erkannt wird, oder ihre Triebkraft entdecken zu wollen nicht verstanden oder akzeptiert wird, braucht es Menschen, die sie fördern.
Entdeckungen zu machen ist das Karriereziel von Entdeckern. Sie streben keine vorgebende Karriere an und folgen den Karrierepfaden in Institutionen oder Organisationen nicht. Sie erschaffen sich ihre eigene Karriere, ihren eigenen "Karrierepfad", also eine individuumzentrierte Karriere.
Das Primat des Entdeckens: Sie nehmen kaum oder sogar keine Rücksicht auf ihre Familie, Freunde und sich selbst, alles wird dem Entdecken untergeordnet und muss dahinter zurücktreten. Die Vereinbarkeit von Privatleben und Entdecken gelingt, wenn das private Umfeld die fundamentale Bedeutung des Entdeckens für den Entdecker versteht, akzeptiert und ihn unterstützt.
Entdecker wollen und müssen im Einklang mit dem sein, was sie entdecken wollen. Sie erleben oft einen Flow, wenn sie mit ihrer Entdeckung beschäftigt sind, sie sind beglückt und voll Energie und Freude, wenn sie an der Entdeckung arbeiten. Alles andere, selbst wenn es für die Entdeckungspraxis notwendig ist, erleben sie nicht als "richtige Arbeit", sondern als störend.
Entdecker können keine Aufträge von anderen annehmen und ausführen, sie können nur ihren eigenen Ideen und Vorstellungen folgen und sich auf einen ergebnisoffenen Prozess des Entdeckens einlassen. Sie sind ihre eigenen Auftraggeber, sie folgen dem selbst gesetzten Sinn ihres Arbeitens und Lebens.
Ihre Idee und Entdeckerpraxis stellt Grundannahmen des Fachs oder mehrerer Fächer, der wissenschaftlichen Disziplin, der Profession radikal infrage. Die Idee ist wirklich innovativ und der Entdecker wird von der jeweiligen Community als rebellisch erlebt.
Die Grenzen von Fächern/Disziplinen/Professionen und Berufen werden nicht akzeptiert, sondern überschritten, die Erkenntnisse der einen mit denen der anderen verbunden, zu etwas Neuem synthetisiert, in eigene Entdeckungspraxis eingeordnet und immer weiter optimiert. Entdecker suchen Ihre Anregungen in Konzeptionen, Theorien, Praktiken anderer Fächer, Disziplinen, Berufen, Professionen und bei deren Vertretern; Wissenschaftler z.B. arbeiten interdisziplinär und transdisziplinär.
Bestehende Institutionen und Organisationen, die auf Bewahren setzen und sich Entdeckungen und Innovationen gegenüber ablehnend verhalten, fördern diese Menschen nicht. Sie unterstützten meist nicht die an radikalen Innovationen, sondern eher die an Karriere in diesen Institutionen oder im Berufsfeld orientierte Menschen. Sie grenzen Entdecker aus, weil die ihre Regeln nicht achten, nicht befolgen können und wollen, weil sie radikale Innovationen anstreben, die die bestehenden Grundannahmen, Axiome und Praktiken infrage stellen (vgl. Punkte 3., 6., 7., 8.).
Umgekehrt lehnen die Entdecker auf Bewahrung ausgerichtete Institutionen und Organisationen ab, weil sie sie an der Erreichung ihres Karriereziels hindern (3., 6., 7.). Organisationale Strukturen und Prozesse zu bedienen oder sich von Führungskräften führen zu lassen, hält sie von der Arbeit an ihrer Entdeckung ab. Die Schaffung von eigenen optimalen Rahmenbedingungen für die Arbeit an der Entdeckung z.B. durch die Begründung von Selbständigkeit ist wichtiger als Karrierepfaden von Organisationen oder Professionen zu folgen und die damit verbundenen Belohnungen wie Status, Geld, Macht und Zugehörigkeit zu Organisationen zu bekommen. Sie können sich nur selbst dadurch belohnen, dass sie beim Entdecken Erfolge haben.
Entdecker haben zeitweise oder beständig Probleme, ihre finanzielle Basis herzustellen und zu sichern. Manchmal finden sie 'Mäzene', die sie fördern, wie im 10. Punkt beschrieben. Häufig ist die eigene Familie, die sich nicht wie die etablierten Institutionen von Innovationen bedroht fühlt, der Mäzen.
Finden Entdecker Auftraggeber für ihre Entdeckung, so ist und bleibt die Beziehung zwischen dem Entdecker als Auftragnehmer und dem Auftraggeber grundsätzlich prekär. Einmal weil das Objekt, die Entdeckung, in der Vorphase der Entdeckung und der Phase des Entdeckens nicht definitiv festgelegt werden kann, denn dann wäre es keine Entdeckung. Zum anderen wird die Entdeckungspraxis wird durch den individuellen Sinn, die der Entdecker ihr gibt und das Ziel, das er erreichen will, gesteuert, nicht durch von anderen festgelegte Ziele oder abzuliefernde Produkte. Man kann mit ihnen keine Werkverträge abschließen,
Entdecker prämieren generell oder phasenweise einen der drei Praxistypen des Entdeckens: Unbekanntes entdecken, Neues erfinden und Neues gründen oder begründen. Die durchgehende Prämierung des Erfindens führt zu einer Erfinderidentität und -praxis. Die durchgehende Prämierung des Entdeckens von Unbekanntem im Kosmos zu einer Identität und Praxis als Theoretiker und Wissenschaftler oder als Erkunder unbekannter Teile der Welt wie Kolumbus. Gründen kann nicht an erster Stelle stehen, zuvor muss ihre Entdeckungspraxis ein Ergebnis erbracht haben, das eine Gründung rechtfertigt.
Wissenschaftlern reicht manchmal, dass Ihre Idee schlüssig, nachprüfbar und anwendbar ist. So entwickelte der Mathematiker Gauß seine Formeln und veröffentlichte sie. Erfinder prämieren das Produkt, sie wollen ein Ding erfinden, das in der Praxis für einen bestimmten Zweck tauglich ist. Gesetzmäßigkeiten, grundlegend Axiome interessieren sie eh nicht.
Die meisten Entdecker sind nicht nur Denker, sondern auch Handelnde, Macher, Erfinder von Dingen. Häufig korrespondiert in der Praxis des Entdeckens die Erforschung grundlegender wissenschaftlicher Probleme mit der Erfindung von Dingen, an denen die Prinzipien praktisch getestet und überprüft werden. Das ist ein Beispiel für situative, dem Entdeckungsprozess angepasste Prämierung von Praxistypen.
Entdecker sind, gemessen an ihren eigenen Maßstäben und andere akzeptieren sie nicht, erfolgreich, wenn sich der individuelle Sinn ihrer Entdeckungspraxis erfüllt hat.
Für die Durchsetzung ihrer Idee in einer Professional Community, oder eines Produkts auf dem Markt brauchen sie häufig Unterstützer, die andere Talente, Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften haben als sie selbst. Häufig sind Entdecker keine guten Geschäftsleute und auch keine guten Marketingexperten. Nur manche von ihnen sind auch Gründer und schaffen es Firmen begründen, die die Produkte des Entdeckens vermarkten.
Ist die Entdeckung in der Welt, so entfaltet sie unabhängig von den Intentionen des Entdeckers und seinem Wollen Wirkungen auf die Menschen und die Natur, wir unterscheiden vier Möglichkeiten. Diese Wirkungen können darin bestehen, dass die Entdeckung, ganz anders als vom Entdecker gewollt, genutzt wird, zum Beispiel für kriegerische statt für friedliche Zwecke.
Zweitens passiert es häufig, dass der Sinn, den der Entdecker verfolgt hat, nicht akzeptiert wird und der Entdeckung ein ganz anderer Sinn zugeschrieben wird (Beispiel Guttenberg: Ihm ging es um die schönste Schrift, der Gesellschaft um den Buchdruck als ein neues Kommunikationsmedium).
Drittens ist es möglich, dass die Entdeckung als sinn – und nutzlos bewertet wird und damit in Vergessenheit gerät. Möglicherweise kommt sie zu früh, stößt auf Widerstand und wird viele Jahre später erst akzeptiert und eingeführt.
Viertens kann die Entdeckung in der Natur Wirkungen entfalten, die vom Entdecker und vielleicht auch nicht von der Gesellschaft vorhergesehen und auch nicht gewollt sind, beispielweise die Nutzung der Kernspaltung mit verheerenden Folgen für die Menschheit und die Natur insgesamt.
Für die Karriere des Entdeckers sind die Folgen, die die Verbreitung der Entdeckung hat und die Wirkungen, die sie auslöst, also unabsehbar und risikoreich.
Die Funktion der folgenden Maximen soll es sein, potentiellen Entdeckern zu zeigen, "was normal ist", wenn man sich für das Entdecken entscheidet und was die eigene Karriere von anderen unterscheidet. Förderern oder Vorgesetzten von Entdeckern sollen sie helfen, das Denken und Handeln von Entdeckern zu verstehen und ihre eigenen Maßstäbe, wie man Karriere macht, zu suspendieren. Letzteres gilt auch für Berater und Personalentwickler.
Diese Maximen habe ich abgeleitet aus den Merkmalen von Entdeckerkarrieren. Mehr dazu findet man im gleichnamigen Menüpunkt unter Erfolge, Scheitern und Förderung von Entdeckern
Entscheide Dich im „falschen Leben“ zu bleiben oder zu entdecken!
Verfolge Deine Ideen, glaube an sie!
Nimm die Mission ernst, die Du spürst!
Vertraue Deinen Talenten und Deinen anderen Triebkräften, sie liefern die notwendige Energie!
Sei bereit alles Deiner Entdeckung unterzuordnen: Deine Person, Deine Bedürfnisse, Deine Gesundheit, Deinen Wohlstand und auch die Bedürfnisse der anderen!
Lebe bescheiden, sei bedürfnislos. Lass Dich nur von dem Bedürfnis zu entdecken leiten!
Suche das Abenteuer, das Unbekannte und das Glück zu denken, zu erkennen und zu erfinden und auf dem Weg zu einer Entdeckung zu sein!
Verfolge keine traditionellen Ausbildungswege, sie engen Dich ein. Schaff Dir Dein eigenes Curriculum!
Entdecken ist Verwandeln durch Revolutionieren
Traue keinen Gesetzen, Grundannahmen, Modellen Gewissheiten und üblichen Vorgehensweisen!
Entdecken ist Revolutionieren, nicht Bewahren oder Verbessern. Es geht darum Neues zu erfinden, das Alte zu ersetzen und zu innoviern. Dieses Denken und Handeln ruft notwendigerweise Widerstand hervor. Gibt es Widerstand, dann bist Du meist auf dem richtigen Weg!
„Träumer“, “Schwärmer“ (Marie Curie) und Außenseiter machen Entdeckungen, oder weniger sanfte Wesen wie Rebellen !
Du kannst Dich nicht an Normalität orientieren, an welcher auch immer. Nicht an den Vorstellungen, die die eigene Familie, die sozialen Gemeinschaft, die Profession, die wissenschaftliche Disziplin, die Organisationen und Institutionen, mit denen Du interagierst, haben. Du stellst für sie eine Abweichung dar!
Verlass Dich nicht auf Organisationen, die Bewahren und Optimieren von Bestehendem prämieren! Verwende nicht Deine gesamte Energie, um Dir dort einen Platz zu suchen!
Suche nicht nach Anerkennung Deiner Arbeit von diesen Institutionen, sie kränken eher als souverän genug zu sein und sich nicht bedroht zu fühlen. Ehrungen werden „Revolutionären“ meist verweigert!
Statt Zugehörigkeit zu suchen, bleib lieber einsam oder such Dir einige wenige “Getreue“!
Lass Dir keine Aufträge von anderen geben, was Du entdecken sollst! Gib sie Dir selbst!
Schaffe Deine finanzielle Basis auf verschiedenen Wegen!
Übernimm keine Aufträge mit Werksvertragscharakter (darin sind die Ziele vorgegeben), höchstens als Mittel zum Zweck, die eigene Entdeckungsarbeit zu finanzieren. So wie freie Künstler Auftragsarbeiten machen um ihre freie Kunst zu finanzieren!
Arbeitest Du in einer Organisation, dann suche nach Menschen, die souverän genug sind, Dir eine Position oder ein Stipendium zu verschaffen und Dich machen lassen!
Oder suche Dir einen Job zum Geld verdienen, der Dir genug Zeit zum Entdecken lässt, so wie Einstein als Büroangestellter an seiner Quantentheorie arbeiten konnte.
Oder suche Dir Mäzene, die Deine Entdeckung finanzieren können! Das kann die eigene Familie sein, die Dir Geld aus ihrem Vermögen oder Dein Erbteil zur Verfügung stellt. Oder es können reiche Menschen sein, die von Deiner Idee überzeugt sind, so wie J.P. Morgan bei Nicola Tesla oder heutzutage vielleicht auch Stiftungen sein!
Oder gründe ein Unternehmen und suche Dir Leute, die eine Erfindung, die Du schon im Entdeckungsprozess gemacht hast, in die Produktion bringen und verkaufen können!
Maximen für die Entdeckungspraxis
Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, überschreite die Grenzen Deiner wissenschaftlichen Disziplin bzw. Deiner Profession und suche dort nach Erklärungen und Lösungswegen!
Wenn Du in Deiner Entdeckungspraxis zu scheitern drohst, Irrtümer auftauchen, mach weiter. Hinterfrage Deine Annahmen, diese kritischen Stellen sind oft der Anfang der Entdeckung!
Halte Phasen der Unsicherheit, des ‚Schwimmens‘ aus, wenn Du spüren kannst, dass irgendetwas noch Zeit zum Reifen braucht!
Einfälle und Theorien dürfen und müssen auf den ersten Blick „verrückt sein“, “sonst gibt es keine Hoffnung“, sagt Niels Bohr oder „sie sind nicht wichtig“, sagt Medawar.
Erfolgreich oder gescheitert?
Gehe davon aus, dass die Gesellschaft, deine Professional Community, die Organisationen und Institutionen Deiner Entdeckung einen anderen Sinn geben als Du selbst! (Individueller versus sozialer oder kultureller Sinn der Entdeckung)
Gescheitert bist Du nur, wenn Du den Sinn, den Du ihr gibst, nicht erreichst!
Riskiere, dass Deine Entdeckung in Deinem Verständnis missbraucht wird! Ist sie in der Welt, hast Du nicht mehr in der Hand, wozu sie verwendet wird!
Verwendete Literatur
Schein, Edgar: Karriereanker – die verborgenen Muster in ihrer beruflichen Entwicklung, Lanzenberger, Looss und Stadelmann, Darmstadt 1992; engl. University Associates San Diego 1992
Schein, Edgar H., van Maanen, John und Schein, Peter A.: Career Anchors Reimagined. Wiley New Jersey 2023
Rappe-Giesecke: Triadische Karriereberatung - Begleitung von Professionals, Führungskräften und Selbständigen, EHP Verlag Köln 2006
Die Fallstudie zu Picassos ist abgeschlossen. Wenn Sie Interesse haben, welche Ausprägung der Entdeckeranker bei Künstlern erfährt, schauen Sie sich doch die Studie zu Picassos Künstlerkarriere an.
In Überarbeitung!!
Die Forschungsergebnisse:
Befasst man sich mit dem Wandel von Karrieren heute, stellt man fest, dass es kaum noch gesellschaftlich vorgegebene Karrierewege und Normalbiografien gibt. Die Individuen sind gefordert Kontinuität, Sinnhaftigkeit der Ereignisse und der Abläufe wie auch die darin liegende die Sequenz- und Entfaltungslogik der Biographie selbst konstruieren zu müssen. Eine Last, die zuvor die Gesellschaft durch Institutionalisierung von Erwerbsbiographien den Individuen abgenommen hat.
Aber nicht alle lernen müssen mit diesem Wandel umzugehen. Intellektuelle und Künstler unterliegen seit jeher den „Zwang zur Individualität, d.h. der Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung.“ (Kohli, 233)
Der Bezug auf das Selbst ist sei kein Hedonismus, sondern „eine Form der Suche nach dem letzten Grund für die Orientierung in der Welt“ nach einem wie er sagt “transzendentalen Haltepunkt“.(233-34) Während für die anderen Gruppen diese Suche eine kontinuierliche und nicht endende bleibt, da institutionalisierte Karrierewege und Normalbiografien erodiert sind, haben Künstler m.E. diesen „letzten Grund und Haltepunkt“ recht früh gefunden und halten in der Regel ihr Leben lang daran fest.
Sie wollen und müssen Kunst machen, sie wollen Künstler sein. Damit haben Sie im Vergleich zu den vielen anderen eine Gewissheit, die ihrem Leben Kontinuität und Sinn - allerdings keine Sequenzialiät, also einen geregelten Ablauf aufeinanderfolgender Phasen - gibt.
Für Menschen, die keine Künstler sind, ist es schwer zu verstehen, wieso Kunst zu machen eine existenzielle Notwendigkeit, ein Lebenszweck, „ihr Leben“ ist und sie sich nicht vorstellen können, etwas anderes zu machen. Wieso, wenn sie keine Kunst machen können, ihr Leben „voller Langeweile, Trockenheit und Bitternis“, ohne Lust und Glück und Freude ist, sie sich fühlen, als sei ihnen „eine Lebensader abgeschnitten“. Dies sind Zitate aus den Interviews mit Künstlern.
Ich selbst habe beim Lesen der Biografien und der Interviews zunächst nicht wirklich verstehen können, wieso Künstler auf die Frage was sie antreibt antworten, dass das keine rationale Entscheidung war, sondern dass sie sich für die Kunst entscheiden mussten und die Kunst eine existenzielle Bedeutung für sie hat. Auch meine Empörung über Picassos Satz zu seiner Frau: „Ich verschwende meine (Energie, KRG) auf eine einzige Sache: meine Malerei. Alles andere wird ihr geopfert – du und jeder andere – einschließlich meiner selbst“ (F. Gilot 1980 S. 294) zeigt das Unverständnis für diese Triebkraft. Nun haben Künstler unterschiedliche Persönlichkeiten, und neben dem Künstleranker unterschiedliche Karriereanker, zum Beispiel Lebensstilintegration, und sind nicht so radikal wie der oft völlig unsensibel agierende Picasso. Diese Triebkraft ist immer ein Problem für die privaten und sozialen Beziehungen der Künstler, denn Triebkräfte sindimmer tyrannisch.
Modelle, die ihnen zeigen, wie man den „Zwang zu Individualität“ und „die Verpflichtung auf eine radikal subjektive Lebensführung“ (Kohli) produktiv für das künstlerische Schaffen und zuträglich für die Entwicklung ihrer Künstlerpersönlichkeit und ihrer sozialen Beziehungen gestalten kann.
Denn beides ist notwendig, um Künstlern die gewünschte und für die Produktion von Kunst erforderliche Freiheit und Selbstbestimmung sicher zu stellen, legt Individuum aber sehr viel auf, wovon soziale Normen befreit hätten.
Mit dieser Ablehnung klassischer Karrierepfade und normaler Erwerbsbiografien haben sie strukturell ähnliche Probleme wie Menschen mit einem Entdeckeranker, die sich nicht in Organisationen bewegen mögen oder können und von ihnen natürlich auch abgelehnt werden. Für freie Künstler zeigt sich dieses Problems selbst darin wie sie mit Auftragsarbeiten umgehen, hier ein Zitat aus einem Interview : „Das Eigentliche der Kunst ist das freie Arbeiten, die Selbstbestimmtheit". Schon die Suche nach Mäzenen, nach Institutionen, die sie finanziell unterstützen können, ist für sie schwierig, weil sie sich damit abhängig machen. In den Interviews wird Marketing für die eigenen Kunstwerke als notwendige, meist aber unbeliebte Tätigkeit, für die sie sich zum einen aufgrund ihrer Persönlichkeit weniger eignen, zum anderen, weil sie das professionelle Know-how dafür meist nicht besitzen.
© 2023 Prof. Dr. phil. habil. Kornelia Rappe-Giesecke